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4 - Wächter der Ewigkeit

4 - Wächter der Ewigkeit

Titel: 4 - Wächter der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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diesen Rustam vielleicht?«
    »Natürlich kenne ich ihn.« Afandi nickte. »Aber wer ist dieser Geser?«
    »Afandi!« Valentina Iljinitschna schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Du willst doch nicht behaupten, noch nie etwas vom Großen Geser gehört zu haben!«
    »Geser …«, wiederholte der Alte gedankenversunken. »Geser, Geser … Ist das nicht dieser Lichte Magier, der sich in Binkent als Latrinenentleerer verdingt hat?«
    »Afandi! Wie kannst du den Großen Geser mit irgendeinem Grubenräumer verwechseln!« Valentina Iljinitschna war schockiert.
    »Ach ja, Gäsär!« Afandi nickte. »Ja, ja, ja! Der Oldschibai, der Bezwinger seines Onkels Soton, des Menschenfressers Lubsan und des Königs Gurkar. Wer kennt den alten Gäsär nicht?«
    »Und wer kennt den alten Rustam?«, mischte ich mich abermals ein, bevor Afandi sich ganz der Aufzählung der ruhmreichen Taten Gesers überließ.
    »Ich«, behauptete Afandi bitter.
    »Übertreib jetzt bitte nicht, Afandi«, verlangte Timur. »Unser Gast muss Rustam sehr dringend treffen.«
    »Das wird schwierig.« Unvermittelt hatte Afandi seine ganze Albernheit eingebüßt. »Rustam hat die Menschen verlassen. Vor zehn Jahren hat man ihn in Samarkand gesehen. Doch seit dieser Zeit hat niemand mit Rustam gesprochen, niemand …«
    »Woher wissen Sie etwas von Rustam, Afandi?« Die Frage konnte ich mir nicht verkneifen. Wenn meine Tochter ihn nicht erwähnt hätte, wäre ich nämlich überzeugt, der aufschneiderische Alte mache mir schlicht etwas vor.
    »Das ist schon lange her.« Afandi seufzte. »In Samarkand lebte ein Alter, ein rechter Tor, ganz wie diese Grünschnäbel hier. Er streifte durch die Stadt und weinte, denn er hatte nichts zu essen. Mit einem Mal trat ihm ein Batyr, ein großer Held, entgegen, dessen Augen leuchteten und dessen Stirn hoch und weise war. Er sah den Alten an und sprach: ›Großväterchen, was bedrückt dein Herz? Weißt du womöglich nicht, welche verborgene Kraft in dir steckt? Du bist ein Boschkatscha! Ein Anderer!‹ Der Batyr berührte den Alten mit der Hand, worauf dieser Kraft und Weisheit erlangte. Dann sagte er: ›Vernimm, dass der Große Rustam dein Lehrer war.‹ Diese Geschichte hat sich vor zweihundertundfünfzig Jahren zugetragen!«
    Diese Schilderung schien die Wächter nicht weniger zu verblüffen als mich. Murat erstarrte in der Küchentür, Timur verschüttete den Kognak, den er gerade einschenken wollte.
    »Dich hat Rustam initiiert, Afandi?«, fragte Valentina Iljinitschna.
    »Ich habe alles erzählt, einem Weisen ist das genug«, antwortete Afandi, während er von Timur ein Glas entgegennahm. »Einem Toren freilich kannst du es hundert Mal erzählen, er wird nichts begreifen.«
    »Warum hast du diese Geschichte nicht schon früher erzählt?«, wollte Timur wissen.
    »Weil es keinen Anlass gab.«
    »Afandi, ein Schüler kann seinen Lehrer immer rufen«, sagte ich.
    »Dem ist so«, bestätigte Afandi bedeutungsvoll.
    »Ich muss Rustam treffen.«
    Afandi seufzte und sah mich durchtrieben an. »Aber muss Rustam auch dich treffen?«
    Wie mir dieses ganze gespreizte orientalische Gehabe zum Hals raushing! Sie würden doch nicht auch untereinander, im Alltag, so reden? Frau, hast du mir ein paar Fladenbrote aufgebacken? – Oh, mein Mann, ersetzen meine Liebkosungen dir denn nicht die Fladenbrote?
    Gleich, das wusste ich, würde ich dieses Gerede nicht länger aushalten und lospoltern – was sich für einen Gast, der mit solcher Freundlichkeit empfangen worden war, wahrlich nicht ziemte. Zum Glück klopfte es in diesem Moment leise an der Tür, und Alischer trat ein.
    Sein Gesichtsausdruck gefiel mir überhaupt nicht. Mich hätte es nicht gewundert, wenn Alischer bedrückt gewirkt hätte. Schließlich hätte er entdecken können, dass seine Jugendliebe geheiratet und fünf Kinder bekommen hatte, dick geworden war und sich nicht mehr an ihn erinnerte. All das hätte ihm Grund genug gegeben, traurig zu sein.
    Aber Alischer beunruhigte ganz offenbar etwas.
    »Hallo«, begrüßte er seine ehemaligen Kollegen, als habe er sich erst gestern Abend von ihnen verabschiedet. »Wir haben ein Problem.«
    »Wo?«, fragte ich.
    »Direkt vor der Haustür.«

Drei
    Nach der Geschichte in Edinburgh hätte ich mit dergleichen rechnen sollen.
    Stattdessen hatte ich mich entspannt. Die Straßen voller Grün und das Schimmern des Wassers in den Bewässerungskanälen, den Aryks, der laute orientalische Basar und die strengen Kuppeln der Moschee,

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