4 - Wächter der Ewigkeit
zurück und breitete entschuldigend die Arme aus. »Afandi, komm rein!«, rief er dann noch einmal. »Wir haben Besuch.«
»Ich weiß, dass wir Besuch haben. Deshalb fege ich ja!«
»Unser Gast ist aber schon im Haus, Afandi! Weshalb fegst du dann jetzt die Straße?«
»Ach, Nodir! Bring du mir nicht bei, wie man Gäste empfängt! Wenn der Gast noch unterwegs ist, dann räumt man das Haus auf. Aber wenn der Gast bereits im Haus ist, dann muss man die Straße säubern!«
»Wie du meinst, Afandi!«, bemerkte Nodir lachend. »Du weißt das natürlich besser. Wir essen dann inzwischen schon mal die Trauben und trinken Kognak.«
»Halt ein, Nodir!«, rief Afandi alarmiert. »Es wäre eine Respektlosigkeit gegenüber einem Gast, nicht mit ihm zu Tisch zu sitzen und zu essen!«
Schon im nächsten Moment stand Afandi in der Tür. Ein echtes Bild für Götter! Er trug Turnschuhe mit offenen Schnürsenkeln, die blauen Jeans zierte ein sowjetischer Soldatengürtel, das weiße Nylonhemd wartete mit durcheinandergewürfelten Knöpfen auf. Nylon ist ein strapazierfähiges Material. Das Hemd wirkte, als sei es mindestens zwanzig, wenn nicht dreißig Jahre alt. Bei Afandi selbst handelte es sich um einen glatt rasierten – wobei die Zeitungsschnipsel auf seinem Kinn darauf schließen ließen, dass ihn das einige Mühe gekostet hatte – Glatzkopf von etwa sechzig Jahren. Nachdem er den
Tisch mit einem billigenden Blick bedacht hatte, lehnte Afandi den langen Besen gegen den Türrahmen und sprang munter auf mich zu.
»Guten Tag, Verehrter! Möge deine Kraft brodeln wie das Ungestüm eines Jünglings, der eine Frau entkleidet! Mögest du den zweiten, ja gar den ersten Grad erreichen!«
»Afandi, unser Gast ist ein Hoher Magier«, bemerkte Valentina Iljinitschna. »Weshalb wünschst du ihm den zweiten Grad?«
»Schweig stille, Frau!«, herrschte Afandi sie an, während er meine Hand freigab und sich an den Tisch setzte. »Entgeht dir etwa, wie geschwind mein Wunsch erfüllt, ja sogar übererfüllt worden ist?«
Die Wächter lachten. Übrigens ohne jeden Spott. Afandi, dessen Aura ich rasch scannte – der Alte stand auf der untersten Kraftstufe –, war der Spaßvogel in der Wache von Samarkand. Ein lieber Spaßvogel freilich, dem man jede Dummheit verzieh und auf den man nichts kommen ließ.
»Vielen Dank für die guten Worte, Vater«, sagte ich. »Und in der Tat, deine Wünsche werden rasch wahr.«
Der Alte nickte und warf sich genussvoll einen halben Pfirsich in den Mund. Seine Zähne waren hervorragend. Wenn er auch sonst nicht auf sein Äußeres achtete – diesem wichtigen Organ ließ er die gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden.
»Hier arbeiten nur Grünschnäbel«, brummte er. »Ich bin mir sicher, sie verstehen es nicht einmal, dich gebührend zu empfangen. Wie heißt du, guter Mensch?«
»Anton.«
»Mich nenn Afandi. Das heißt Weiser.« Der Alte bedachte die Wächter mit einem gestrengen Blick. »Wenn meine Weisheit nicht wäre, dann hätten die Kräfte des Dunkels – mögen sie sich in Krämpfen winden und in der Hölle schmoren – ihnen schon längst die kleinen süßen Hirnlein herausgesaugt und die große sehnige Leber von jedem Einzelnen verspeist.«
Nodir und Timur lachten schallend.
»Warum meine Leber sehnig ist, weiß ich«, meinte Nodir, während er erneut Kognak eingoss. »Aber warum ist mein Hirn süß?«
»Weil Weisheit bitter, Dummheit und Unkenntnis jedoch süß sind!«, erklärte Afandi, der dem Pfirsich einen Kognak hinterherkippte. »Heh! Heh, du dummer Junge, was tust du denn da!«
»Was ist?« Timur wollte nach seinem Kognak gerade ein paar Weintrauben essen und sah Afandi jetzt fragend an.
»Man darf auf Kognak keine Weintrauben essen!«
»Warum nicht?«
»Das wäre ja, als würdest du das Zicklein in der Milch seiner Mutter kochen!«
»Afandi, nur die Juden kochen ein Zicklein nicht in Milch!«
»Und du machst das?«
»Nein«, antwortete Timur verwirrt. »Warum sollte ich es in Milch …«
»Siehst du! Und deshalb iss zu Kognak keine Weintrauben!«
»Ich kenne Sie jetzt erst seit drei Minuten, Afandi, doch habe ich in dieser Zeit bereits so viel von Ihrer Weisheit kosten können, dass ich einen Monat benötigen werde, sie zu verdauen.« Ich mischte mich in das Gespräch, um die Aufmerksamkeit des Alten auf mich zu lenken. »Der weise Geser hat mich nach Samarkand geschickt. Er hat mich gebeten, seinen alten Freund zu suchen, der sich einst Rustam nannte. Kennen Sie
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