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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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interessanten Krankheitsform nahm und selbst die hoffnungslos Darniederliegenden vollständig und konsequent ignorierte, so verwandelte sich der Paroxismus nach und nach in ein Toggenburgisches Schmachten in die Ferne, und Wanda war Königin, ohne daß es einer ihrer Untertanen gewagt hätte, ihr eine offizielle Huldigung darzubringen.
    Von der Natur mit den herrlichsten Gaben ausgestattet, glänzte sie als leuchtendes, aber unberechenbares Phänomen am gesellschaftlichen Himmel. Während andere ruhig ihre Bahnen wandelten, flimmerte sie in den verschiedensten Lichtern, zuckte blitzähnlich von einem Punkt zum anderen, warf oft die ganze Planetenstellung über den Haufen und hätte auch den kaltblütigsten Astronomen zur Verzweiflung bringen können. Für sie gab es keine dehorsielle Unmöglichkeit. Sie ritt wie ein Husarenleutnant, schoß mit den Jägerburschen um die Wette, betrat ganz unerwartet den Fechtboden und trieb mit dem Schläger in dem kleinen, weißen Fäustchen jedmänniglich in die Enge. Sie fuhr mit Vieren im sausenden Galopp über Heide und Stoppel, durch dick und dünn, erschien bei Tagesgrauen, wenn die ehrbaren Spießbürger sich noch in den Federn streckten, hochgeschürzt auf dem Turnplatz der Feuerwehr, um an Reck, Barren, Bock und Kletterstange ihre Meisterschaft zu bewähren, tanzte, sang und deklamierte prächtig, spielte das Piano mit ungewöhnlicher Fertigkeit, schien in jeder Sprache, in jeder Kunst und Wissenschaft zu Hause und wußte auch in die steifsten Zirkel Leben und Bewegung zu bringen.
    Trotz dieser scheinbar unweiblichen Vielseitigkeit und Selbständigkeit war jedem ihrer Worte, jeder ihrer Taten, ihrem ganzen Wesen und Leben eine so bezaubernde Anmut, eine so mädchenhafte Reinheit, ein so imponierender Adel aufgeprägt, daß es außer der Stiefmutter niemanden gab, der auch nur die leiseste Spur eines Anstoßes zu entdecken gewußt hätte. Und wie sie von der Männerwelt vergöttert wurde, so stand sie bei den Frauen in der unbeschränktesten Achtung. Wo die Armut ihre düsteren Schatten über ein Familienleben warf, wo die Krankheit drohend an die Türen klopfte, wo irgendein Leid den fröhlichen Schlag eines Menschenherzens hemmte, da erschien sie gewiß, um Rat, Trost und Hilfe zu bringen, und es war deshalb kein Wunder, wenn sie nicht bloß von ihren Schutz- und Pflegebefohlenen, sondern auch von anderen, die von ihrem stillen, liebevollen Walten Kenntnis nahmen, wie ein Engel verehrt wurde.
    Sie war natürlich zu dem heutigen Fest auch geladen, und da man ihren Verlobten erwartete, so glaubte man auch auf ihr Erscheinen rechnen zu dürfen. Aber fast wäre das erwartete Vergnügen gestört worden. Kurz vor Beginn der Festrede brach nämlich in einem Dorf der Nachbarschaft Feuer aus, und auf den ersten Schreckensruf schien es, als wolle die ganze zahlreiche Versammlung auseinanderstürmen. Bald jedoch überzeugte man sich, daß der Ort fast eine Meile entfernt und also keine Ursache zu einer so gewaltsamen und unwillkommenen Störung vorhanden sei. Nur zwei Mitglieder des Vereins, der Schmiedemeister Anton Gräßler und der Schornsteinfeger Emil Winter, mußten als Mitglieder der Feuerwehrsektion für auswärts dem Ruf des Signalhorns folgen; die anderen aber kehrten in den Saal zurück und gaben ihre Teilnahme nur durch ein zeitweiliges Ausschauen nach dem fernen Brand kund.
    So verging die Zeit. Längst schon war die städtische Löschmannschaft an der Unglückstelle angekommen und sah ihre Bemühungen von allmählich immer größerem Erfolg gekrönt. Blutigrot glänzte der Himmel, und die über der Brandstelle sich sammelnden Wolken tauchten ihre Säume in die aufsteigenden Gluten. Lange hatte das Gemäuer dem Feuer widerstanden; jetzt aber stürzte es mit lautem Getöse zusammen. Dichter, schwarzer Rauch wirbelte aus dem zischenden Herd auf, und wie die Strahlen einer riesigen Fontäne zuckten und sprühten die Flammen mit weithin leuchtender Helle zum letzten Mal empor. Dann sanken sie in sich zusammen; der Himmel färbte sich dunkler, und nur hier und da leckte eine gefräßige Zunge an einem noch unverkohlten Balken.
    „Gott sei Dank, itzt is' endlich vorbei!“ sagte tief aufatmend der Schmied, welcher als Spritzenmeister das Mundstück des Wasserschlauches geführt hatte. „Das war mei' Seel' keen Zuckerlecken; ich bin wie gerädert.“
    „Na, du Riesenkind wirst das bissel Anstrengung nicht gar sehr merken, aber wie es unserem Winter dort zumute is, das möchte

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