40 - Im fernen Westen
ausgelacht zu werden. Gebt ihm noch einen Strick mehr um den Arm!“
Der Zigeuner trat einen Schritt zurück und warf einen so überwältigenden Blick auf die beiden Männer, welche herzutraten, um dem Befehl zu gehorchen, daß sie unwillkürlich stehen blieben und ihren Gebieter unentschlossen ansahen.
„Wer wagt es?“ fragte er. „Ich habe mich vorhin binden lassen, Don Enrico, weil es mir Spaß machte und ich die Gelegenheit benützen wollte, einmal die Festigkeit Eures Hanfes zu erproben. Ihr sollt sofort sehen, daß sie nicht bedeutend ist.“
Er machte eine Bewegung, die Arme aus den Fesseln zu ziehen. Da sprang der Colonel empor, um ihn daran zu verhindern, erhielt aber einen so gewaltigen Fußtritt auf den Unterleib, daß er mit einem Schmerzenslaut niederstürzte und einige Sekunden bewegungslos und wie gelähmt liegen blieb.
Mit einem kräftigen Ruck riß der Gitano den Arm aus der jedenfalls schon vorher gelockerten Schlinge, sprang in den Winkel zurück, in welchem er gelegen hatte, und zog unter den dort liegenden Steinen zwei Revolver hervor, welche er bei dem Erscheinen der Carlisten dort versteckt, und die man deshalb nicht bei ihm bemerkt und gefunden hatte. Er hob den einen empor, drückte los, und der erste von den Leuten, welche ihn zu fassen drohten, stürzte, durch die Brust geschossen, nieder. Ihm folgte der nächste, und noch hatte der Colonel sich nicht erholt, so sah er schon vier seiner Leute in ihrem Blut liegen.
So wenig ich sonst kriegerische Geschicklichkeit besitze, das Beispiel des Gitano elektrisierte mich und riß mich aus dem Gleichmut, welchen ich bisher bewahrt hatte. Ich zog ein Messer, trat zu dem gefangenen Offizier und hatte in der Zeit von zwei Augenblicken sowohl seine Bande als auch diejenigen des Maultiertreibers durchschnitten.
„Gracia a dio!“ rief der letztere. „Jetzt sollt Ihr den Mulero Fernando Lunez kennen lernen.“
Er sprang empor und warf sich mit geballten Fäusten mitten unter die Carlisten hinein. Während dieser kurzen Zeit hatte der Gitano dem sich auf ihn stürzenden Colonel den Degen entrissen und lehnte nun, gegen eine bedeutende Übermacht kämpfend, an der ihn deckenden Mauer.
Ein Glück war es, daß die Feinde unvorsichtigerweise keine Ladung in den Gewehren hatten und in der Hitze des Augenblicks auch nicht an das Schießen dachten. Kaum von den Banden befreit, standen wir alle vier im blutigen Handgemenge, und ich bemerkte gar wohl, daß der Ausgang desselben ein sehr zweifelhafter sei. Trotz der vier Gefallenen kämpften wir doch gegen eine fünffache Übermacht, und schon faßte ich den Entschluß, mich auf eines der angekoppelten Pferde zu werfen und auf demselben das Weite zu suchen, als hinter uns eine Salve gegeben wurde, welche ein halbes Dutzend unserer Feinde niederstreckte.
Im nächsten Augenblick sprangen eine Anzahl Männer, die an ihrer Uniform als Regierungstruppen kenntlich waren, zwischen uns, und nun bekam das Gefecht allerdings eine andere Wendung.
„Holla, Freund Diego, bist zu rasch gekommen!“ rief der Mulero. „Ich hätte das Vergnügen, diese Schurken hinüber zu spedieren, gern allein gehabt. Immer drauf, Männer, und laßt keinen durch! Da hast du eins! Das ist für meine Madrina, die ihr mir gestohlen habt. Du auch eins! Das ist für die Seidenballen, und dieser Hieb da für die Zigarren!“
So gab er, während er mit seinen sehnigen Armen unter den Feinden aufräumte, seinen Worten Ausdruck, und bald lagen sämtliche Gegner außer einem tot oder schwer verwundet am Boden.
Dieser eine war der Colonel, welcher, als eben der letzte der Seinigen fiel, von dem Gitano einen Schlag mit dem Knopf des ihm entrissenen Degens erhielt, der ihn betäubte. Er griff mit beiden Händen in die Luft und schien die Besinnung zu verlieren. Aber seine starke Natur überwand schnell die Schwäche, und eben wollte er sich wieder auf den Gegner stürzen, als dieser einige Schritte zurückwich.
„Don Enrico, Ihr habt Euch brav gehalten, trotzdem Ihr seht, daß ich Euch überlegen bin. Nehmt Pardon und eine ehrenvolle Gefangenschaft; denn mein nächster Hieb wird Euch zur Leiche machen!“
„Ein Offizier nimmt keinen Pardon von einem Zigeuner!“
„Das ist wahr; aber von dem Leutnant Milio de Algora könnt Ihr ihn nehmen.“
„Was!“ rief, mitten im Ausfall erstaunt innehaltend, der Colonel, „Ihr wäret – – –?“
„Milio de Algora, der Spion, welcher mit einem Mädchen eine Viertelstunde vor der
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