40 - Im fernen Westen
schickte sich an, seinen Weg fortzusetzen, als sein Blick auf den jüngeren der beiden Reisenden fiel, welche noch immer dastanden.
Fast schien es, als wolle er die Hände vorstrecken, um begrüßend auf ihn zuzutreten, aber ein schneller, abwehrender Wink brachte auf seinem Gesicht sofort den Ausdruck der Gleichgültigkeit hervor, und so wollte er, ohne den Fremden einen weiteren Blick zuzuwerfen, vorübergehen, als der Professor ihn anhielt.
„Sie kenn' Monsieur le baron?“
„Nicht näher, als vom bloßen Sehen.“
„Ist er ein Mann reich?“
„Weiß nicht.“
„Wer hat kewes' die Dam'?“
„Fräulein von Chlowicki ist seine Braut.“
„Ist mademoiselle Braut sehr reich?“
„Möglich; ich habe noch nicht die Erlaubnis gehabt, ihre Dublonen zählen zu dürfen, mein Herr.“
„Schön, sehr schön! Wo wohnt mademoiselle?“
„Sie bewohnt mit ihrer Mutter jene Villa, welche dort hinter den Linden hervorblickt.“
„Und wo wohnt Monsieur le baron?“
„Am Markt bei einem alten, pensionierten Polizeirat.“
„Charmant, charmant; Monsieur le baron ist ein Mann sehr klug, sehr klug!“
„Warum?“ fragte Winter mit einem Blick, in welchem sich Befremdung und Spannung spiegelten.
„Ich nicht mein' wegen Wohnung“, verbesserte der Professor, „sondern ich mein' wegen Braut. Adieu!“
„Adieu!“ grüßte der Essenkehrer und wandte sich zum Gehen.
Wer war der fremde Mann, dessen Auge so stechend blickte und dessen harte, scharfe Stimme so abstoßend wirkte? Warum bemühte er sich, seinen Worten einen französischen Anstrich zu geben, obgleich man jeder Silbe anhören mußte, daß dieser Anstrich nur Maske sei? Warum erkundigte er sich so angelegentlich nach den Vermögensverhältnissen des Barons und seiner Verlobten, und warum – doch das alles mußte er ja bald erfahren, und so setzte er seinen Weg fort, ohne sich weiter mit Fragen zu quälen.
Zu Hause angelangt, traf er Vorkehrungen, welche schließen ließen, daß er es sich da bequem machen und seine Wohnung heute nicht wieder verlassen wollte. Und wirklich hatte er da noch nicht lange in wartender Stellung am Fenster gesessen, so schritt jemand an demselben vorüber und trat nach einem kurzen Klopfen in das Zimmer.
Es war der Reisegefährte des Professors.
„Grüß dich Gott, Emil!“ rief er und umarmte den Genannten in der herzlichsten Weise. „Ich habe deinen Brief erhalten und bin deinem Ruf natürlich so schnell wie möglich gefolgt.“
„Tausendmal willkommen, mein Herzensbruder! Mutter und Schwestern sind ausgegangen; du mußt dich mit ihrer Begrüßung also gedulden. Komm, setz dich und laß mich vor allen Dingen einige Fragen aussprechen.“
„Frage nur zu!“
„Hast du dir Urlaub für den vorliegenden Zweck geben lassen?“
„Daß ich nicht klug wäre! Meine Gesundheit ist seit einiger Zeit sehr angegriffen, und ich habe mir die Erlaubnis zu einer kleinen Erholungsreise geben lassen.“
„Wer war der Mensch, in dessen Gesellschaft ich dich traf, und warum durfte ich dich nicht kennen?“
„Das ist wirklich eine eigentümliche Geschichte, deren Lösung wohl nicht lange auf sich warten lassen wird.“
„Und deren bisherigen Verlauf mir deine amtliche Verschwiegenheit verheimlichen muß?“
„Bisher war die Sache mein ausschließliches Geheimnis, und ich kenne wirklich keinen Grund, welcher mir verbieten könnte, mit dir von ihr zu sprechen. Also höre:
Vor einer nicht gar zu beträchtlichen Anzahl von Jahren gab es in Paris eine Falschmünzerbande, deren Schlupfwinkel so verborgen waren und welche die Erzeugnisse ihrer verbrecherischen Tätigkeit mit einer so raffinierten Umsicht zu verbreiten wußte, daß sich die gesamte Polizei lange Zeit vergeblich abmühte, die Täter zu erfassen und der gerechten Strafe zu überliefern. Besonders waren es zwei, deren Schlauheit und Geschicklichkeit man diesen Mißerfolg zu danken hatte, und beide waren Deutsche. Der eine war ein herabgekommener Sprößling irgendeines alten Geschlechts, der sich eine problematische Existenz in der Metropole der Zivilisation gesucht hatte, und der andere war ein geschickter Lithograph, dem man die Anfertigung der Platten zuschrieb.
Aber obgleich man die Mitgliedschaft dieser beiden mit Bestimmtheit behauptete, fand man doch nicht das Geringste, was berechtigt hätte, sich ihrer Personen zu bemächtigen. Freilich konnte das nicht lange so fortgehen; einmal mußten sie sich doch, von der Größe ihrer Erfolge kühn gemacht, zu
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