40 - Im fernen Westen
ich sehe nicht ein, warum zwei Männer, welche gleiches Los getragen haben, sich scheuen sollten, von diesem Los zu sprechen. Also – und als Sie dann so plötzlich über die Mauer hinweg verschwunden waren, bedauerte ich es sehr, nicht in nähere Verbindung mit Ihnen getreten zu sein. Aber ich konnte allerdings nicht wissen, daß wir die gleiche Absicht gehegt hatten, unsere Gefangenschaft auf eigene Faust abzukürzen. Glücklicherweise ist mir das ebenso gut gelungen wie Ihnen, und ich wundere mich nur, daß Sie die Unvorsichtigkeit begehen, sich für einen Angehörigen der berühmten Nation auszugeben.“
„Das geschieht aus mehreren Rücksichten.“
„Darf ich neugierig sein?“ fragte der junge Mann, und in seinen Augen blitzte es auf wie Siegesbewußtsein bei den ein volles Zugeständnis enthaltenden Worten des Professors.
„Erstens bin ich jetzt Aeronaut und hege die Ansicht, daß ich als Professor und Mitglied der Académie française mehr Effekt erziele, als unter einem weniger aplomben deutschen Namen.“
„Und zweitens?“
„Und zweitens ist sehr zu vermuten, daß man unter einem französischen Professor keinen deutschen Flüchtling suchen wird. Der Deutsche würde in der Heimat nicht französisch sprechen.“
„Sie sind scharfsinnig. Nur sollten Sie besser vertraut mit den Eigentümlichkeiten eines von einem echten Franzosen gesprochenen Deutsch sein.“
„Ich habe diesen Mangel oft gefühlt; aber es hat sich keine passende Gelegenheit gefunden, ihm abzuhelfen. Sprechen Sie rein französisch?“
„Ja.“
„Und kennen Sie jene Eigentümlichkeiten genau?“
„Sehr.“
„Es ist gewiß, daß Sie auch entsprungen sind?“
„Würde ich Ihnen im Verneinungsfall eine so gefährliche Mitteilung gemacht haben?“
„Wohl wahr. Sie kennen meinen Namen? Sie nannten mich gleich bei meinem Eintritt Professor.“
„Ich sah Sie und las von Ihnen in der Hauptstadt.“
„Und Ihr Name?“
„Erlauben Sie mir, vorsichtig zu sein!“
„Ganz, wie Sie wollen; aber Sie sehen doch ein, daß Sie mir gegenüber keinen Grund zum Mißtrauen haben.“
„Ich stimme Ihnen vollständig bei, doch hat bei uns der Name ja nicht die Bedeutung, welche er bei anderen besitzt. Wir wechseln ihn wie einen Rock.“
„Zugestanden. Aber nach Ihrer Eigenschaft darf ich fragen?“
„Ich habe leider keine feststehende.“
„Sie bedürfen doch aber der Mittel, Ihre Existenz zu fristen!“
„Ah, bah. Ich bin ein guter Billardspieler.“
„Dann ist Ihre Existenz eine sehr problematische. Ich würde zu einer besseren greifen.“
„Wäre auch schon längst geschehen, wenn sie sich mir geboten hätte. Ich habe leider nie dem Glück im Schoß gesessen.“
„Hm!“ machte der Professor, indem er sein Gegenüber mit einem nachdenklichen und vorsichtigen Blick musterte. „Hm; ich hätte etwas für Sie, wenn ich nur wüßte –“
„Was?“
„Ich wollte sagen: wenn ich nur wüßte, ob ich Ihnen trauen darf?“
„Sehr aufrichtig“, lachte sein Gegenüber. „Aber ich kann Ihnen nicht zürnen und noch weniger Sie tadeln.“
„Ich weiß so wenig von Ihnen, und dieses wenige beschränkt sich nur auf das, was Sie selbst mir gesagt haben.“
„Habe ich für meine Lage Ihnen nicht genug oder gar schon zu viel gesagt? Zu näheren Details könnte ich mich nur entschließen, wenn mir, sowohl in Beziehung auf Ihre Person, als auch durch das, was Sie mir bieten, eine sichere Garantie geboten wird.“
„Hm. Wenn Sie von der Residenz kommen, werden Sie wohl auch erfahren haben, daß mein Gehilfe bei unserer letzten Ballonfahrt verunglückt ist.“
„Ich weiß es.“
„Ich kann nicht allein stehen und bedarf eines Ersatzmannes. Doch müßte es ein etwas wissenschaftlich gebildeter Mensch sein.“
„Ich habe studiert.“
„Ah, wirklich?“
„Ein solcher Platz wäre mir angenehm, zumal ich die feste Überzeugung hege, Ihre Ansprüche befriedigen zu können.“
„So, das wäre wünschenswert, besonders da ich mehr Praktiker als Theoretiker bin. Mein Bruder nämlich war Aeronaut. Zu ihm flüchtete ich mich, und er weihte mich in die Kunst der Luftschiffahrt ein. In England starb er und hinterließ mir seinen Ballon, seinen Namen und seine Papiere. Er galt für einen Franzosen, und ich habe diese Geltung auf mich übertragen.“
„Das Glück ist Ihnen günstiger gewesen als mir.“
„Vielleicht erklärt es sich endlich doch auch noch für Sie. Wollen Sie bei mir bleiben?“
„Unter welchen
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