40 - Im fernen Westen
Gefährten war es bei dem Namen Morelly wie ein plötzlich aufleuchtender Strahl geflogen.
Er ergriff das beiderseitige Gepäck und folgte dem Vorangeeilten mit raschen Schritten, um bei dem Zusammentreffen der beiden Männer gegenwärtig zu sein. Leider war es ihm nicht möglich, die ersten Worte zu vernehmen; aber er bemerkte die Leichenblässe auf dem Angesicht des Reiters und das vergeblich unterdrückte Vibrieren seiner Stimme, als er jetzt zum zweiten Mal antwortete:
„Ich danke, Herr Professor, für die Nennung Ihres Namens; aber ich kenne keinen Grund, welcher Sie veranlassen könnte, sich mir auf offener Straße und in so derangierter Weise vorzustellen. Ich habe von Ihrem Kommen gehört und interessiere mich allerdings sehr für das Schauspiel, welches Sie den Bewohnern dieser guten Stadt bereiten wollen. Wenn Sie aber auf meine Unterstützung rechnen, so müssen Sie vor allen Dingen den Forderungen der Höflichkeit Rechnung tragen. Ich bin der Baron Eginhardt von Säumen.“
„Entschuldigen Sie meine Zudringlichkeit, Herr Baron! Eine kleine Ähnlichkeit, die aber in der Nähe vollständig verschwunden ist, ließ mich in Ihnen einen Freund vermuten, dessen Bekanntschaft ich vor längerer Zeit in Paris machte. Ich bin von der Grundlosigkeit dieser Vermutung überführt und bitte um die Erlaubnis, mich zurückziehen zu dürfen.“
„Sie haben diese Erlaubnis. Bedürfen Sie während Ihres Aufenthaltes hier meiner Hilfe, so können Sie sich bei mir anmelden. Adieu!“
„Ich empfehle mich, gnädiger Herr!“
Er machte dem Baron eine respektvolle Reverenz; trotz dieser Ehrenbezeugung aber fuhr ein dämonisches Glühen seines Auges über die beiden Reiter hin, und eben wollte er mit einem höchst zweideutigen Lächeln zurücktreten, als seine Aufmerksamkeit auf den Andalusier gerichtet wurde.
Der Maschinist des eben angekommenen Zuges hatte mehrere Güterwagen einzurangieren und dirigierte die schnaubende und sprühende Lokomotive an der Barriere vorüber. Das feurige Pferd kam in Aufregung, und die Reiterin mußte alle Geschicklichkeit und Anstrengung aufbieten, es zu beherrschen und festzuhalten.
Als aber die Wagen eingehängt waren, und der Führer durch einen gellenden Pfiff das Zeichen zum Umstellen der Weiche gab, stieg es kerzengerade in die Höhe und hätte mit einem raschen Satz die Barriere übersprungen, wenn nicht unerwartet eine kräftige Hand in die Zügel gegriffen und das Tier zurückgerissen hätte.
Die Polin wäre verloren gewesen; denn kaum war der rettende Griff geschehen, so pustete die Maschine herbei und hätte ohne allen Zweifel Pferd und Reiterin ergriffen und zermalmt.
„Herr Baron, wer den Kavalier spielen will, der muß auch tun, was seines Amtes ist“, mahnte der unerwartete Retter, indem er den in die Zügel knirschenden Andalusier zurückführte.
Es war Winter, der Essenkehrer, welcher im Bahnhofsgebäude gearbeitet hatte und auf seinem Heimweg gerade in dem kritischen Augenblick herbeigekommen war.
„Beherrschen Sie Ihren Mund!“ rief Säumen, wütend darüber, daß es wieder dieser verhaßte Mensch war, der seiner Verlobten den Ritterdienst geleistet hatte. „Sehen Sie denn nicht, daß sich das Pferd vor Ihrer schwarzen Farbe und dem unausstehlichen Gestank scheut?“
„Seien Sie vorsichtiger, Herr Baron! Sie verraten sonst denselben Geschmack, den das Tier besitzt, und ich habe noch nicht gehört, daß diese Stallambition zur Empfehlung dienen könne. Hier, Fräulein, sind die Zügel. Der Zug ist vorüber, und Sie können Ihren Spazierritt ohne Gefahr fortsetzen.“
„Ich danke Ihnen, Herr Winter!“
Es waren nur diese wenigen Worte, welche sie sprach; aber er sah an dem tiefen, feuchten Glanz ihres Auges und an der Röte ihrer Wangen, daß sie nicht mehr sprechen könne, und erwiderte mit einem Lächeln, welches seine weißen, vollzähligen Zähne zwischen den schwarz gefärbten Lippen erscheinen ließ:
„Nicht danken, gnädiges Fräulein, sondern zürnen! Wir dürfen unser Übereinkommen nicht verletzen.“
„Aber, wenn ich fortfahren soll, Ihnen zu zürnen, so müssen Sie aufhören, die Stelle meines Schutzengels zu vertreten. Dank und Zorn, sie lassen sich nicht gut vereinigen!“
„Vollständig wahr gesprochen, Wanda!“ fiel hier der Baron ein. „Wir befinden uns nicht auf der Bühne, um eines Deus ex machina zu bedürfen, und ich denke, daß wir uns schon zu lange hier verweilt haben.“
Die Pferde setzten sich in Bewegung, und Winter
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