40 - Im fernen Westen
meiner Mutter als Erzieherin in die Familie meines späteren Gemahls, der seit kurzer Zeit Witwer geworden war. Alles übrige kannst du entweder erraten, oder werde ich dir später erzählen. Es darf kein Mensch hoffen, das Glück in vollen, unausgesetzten Zügen genießen zu dürfen, und wenn auch ich keine Ausnahme gemacht habe, so ist mir für so manches Trübe doch reichlich Entschädigung in der Liebe meiner Tochter geworden.“
„Mama, du beschämst mich!“
„Ich kenne dich und habe nie an deiner Zuneigung gezweifelt, obgleich dieselbe sich deinem eigenartigen Charakter angemessen äußern mußte. Oder hast du dich vielleicht nicht allein aus Rücksicht für mich entschlossen, der letzten Bestimmung deines Vaters gehorsam zu sein?“
„Ich bitte dich in dieser Stunde, jene Angelegenheit unberührt zu lassen.“
„Und doch muß ich ihrer erwähnen, um dir zu beweisen, daß ich mich in dir nie geirrt habe. Aber ist eine Verbindung zwischen dir und Säumen mein Wunsch gewesen, so war es nur in Rücksicht auf die Ehre unseres Namens. Nachdem, was ich früher über ihn gehört, mußte ich erwarten, daß kein Grund zu einer gegenseitigen Abneigung, wie ich sie seit eurem persönlichen Zusammentreffen beobachte, vorhanden sei.“
„Ich werde trotz dieser Abneigung mein Wort doch halten.“
„Weil du es nicht überwinden könntest, deine Mutter Not leiden zu sehen.“
„Oder weil der Letzte Wille meines Vaters mir mehr gilt als mein Lebensglück.“
„Da ich“, schaltete sich jetzt Winter ein; „zu diesem Letzten Willen in keinerlei Beziehung stehe, so wirst du mir erlauben, Cousinchen, dein Glück höher zu achten, als ihn. Die Gründe, welche den Vater zu einer für dich so harten Verfügung nötigten, sind mir durchaus unbekannt; aber ich sehe eine Zeit kommen, in der sie ihre Macht verloren haben werden.“
„Diese Zeit wird nie kommen.“
„Und doch. Vielleicht ist sie schon sehr nahe; ich wenigstens werde nach Kräften ihren Gang beschleunigen und nimmermehr zugeben, daß meine Cousine ihr Schicksal an dasjenige eines Mannes bindet, welchen sie nicht nur haßt, sondern sogar fürchtet. Ich bin“, setzte er scherzend hinzu, „dein einziger männlicher Verwandter, und Fräulein von Chlowicki ist also gezwungen, im Familienrat meinen Willen zu respektieren, trotzdem es der Wille eines Essenkehrers ist.“
„Allerdings räume ich dir Einfluß auf meine Entschließungen ein; aber du sagt mit Unrecht, daß ich den Baron fürchte.“
„Den Baron allerdings nicht, aber wohl den Besitzer eines gewissen Taschentuches, welches du als Souvenir an den Felsenbruch zurückbehalten hast.“
„Emil!“ fuhr sie erschrocken auf.
„Ich sehe, daß du mir recht gibst, und so will ich dieses häßliche Thema wieder fallenlassen; aber dem Baron wird es nie gelingen, dich seine Gemahlin zu nennen.“
„Welche Gedanken knüpfst du an die Geschichte dieses Taschentuchs. Ich bitte um Aufrichtigkeit; du hast eine Abneigung gegen den Baron, welche ihre Gründe haben muß.“
„Abneigung? Das ist jedenfalls noch zu wenig. Sie bezieht sich nur auf den gegenwärtigen Baron von Säumen, den früheren und echten habe ich sogar sehr lieb gehabt. Er logierte in unserem Haus, und seine Persönlichkeit hat sich in allen ihren Einzelheiten in meinem Gedächtnis so tief eingeprägt, daß ich ihn unter Tausenden herausfinden würde, und wenn sie ihm noch so sehr ähnlich sehen.“
„Mein Gott, was willst du damit sagen?“ rief sie erschrocken.
„Etwas, was ich vielleicht in kurzer Zeit beweisen kann. Für heute magst du es als eine Andeutung gelten lassen, welche dich zur Vorsicht nötigen soll.“
„Erlaube mir, lieber Neffe; mit Andeutungen dürfen wir uns in einem so eminenten Fall nicht begnügen. Ich getraue mir fast nicht, über den Sinn deiner Worte nachzudenken und halte es für deine Pflicht, uns strikte Aufklärung zu geben.“
Winter sah sich in einer schlimmen Lage. Allerdings wäre es seine Pflicht gewesen, offen zu sein, aber er konnte es nicht über sich gewinnen, den Frauen einen so empfindlichen Schlag zu versetzen. Das Bewußtsein, mit einem Menschen, der vielleicht noch etwas Schlimmeres als ein gemeiner Betrüger war, in so innigen Verhältnissen zu stehen, mußte sie tief verwunden. Er hatte gewarnt, mehr konnte er für heute nicht tun, und vielleicht war es möglich, der Sache später eine solche Wendung zu geben, daß ihre Entwicklung ohne Eklat möglich war. Er ließ sich also durch
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