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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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steht?“
    „Allerdings ist diese Frage gestattet, Herr Kommissar, aber die Antwort wird erst in späterer Zeit erfolgen dürfen.“
    „Sie vergessen, daß ein Vorgesetzter nur in der Absicht, eine sofortige Antwort zu erhalten, seine Fragen an den Untergebenen richtet.“
    „Vergeßlichkeit gehört glücklicherweise nicht zu meinen überhaupt höchst anspruchslosen Eigenschaften. Deshalb sollte es mich wundern, wenn ich übersehen hätte, daß ich mich jetzt auf Ferien befinde und von einer dienstlichen Auseinandersetzung also keine Rede sein kann.“
    „Sie wollen sagen, Herr Winter, daß Sie mir den verlangten Rapport verweigern?“
    „Gewiß. Es gibt Rücksichten, welche einen zur Verschwiegenheit selbst gegen den Vorgesetzten zwingen können, und von dergleichen fühle ich mich leider augenblicklich beeinflußt. Übrigens würde uns keine Zeit zu weiteren Expektorationen bleiben, da der Professor auf mich wartet, wie Sie sehen.“
    „Wo wohnen Sie?“
    „Bei meinem Chef natürlich; adieu!“
    „Ich werde mit Ihnen zu sprechen haben. Steigen Sie mit auf?“
    „Ich glaube nicht. Das Emporsteigen ist mir von jeher erschwert worden.“
    Die Vorangehenden waren stehen geblieben, um sich voneinander zu verabschieden. Als die beiden Zurückgebliebenen hinzutraten, bemerkte der Polizist Winter, daß der Blick seines Bruders auf dem Spazierstöckchen des Barons mit ungewöhnlicher Schärfe haftete. Er folgte dieser Richtung und gewahrte, daß der Stock von Eisen war und an dem unteren Ende eine Form besaß, infolge deren er recht gut als Bohreisen benutzt werden konnte.
    Sofort trat er wie aus Versehen auf den Stock, so daß derselbe der Hand des Barons entfiel, hob ihn rasch auf und reichte ihn mit einer Bitte um Entschuldigung dem Besitzer zurück. So kurz der Augenblick war, in dem er das verdächtige Gerät in der Hand gehabt hatte, er war doch hinlänglich gewesen, um das Bemerkte zu bestätigen.
    „Also ich wiederhole meine Bitte, Herr Professor“, sprach die Baronin, „dem Wunsch meiner Tochter noch keine endgültige Bedeutung zu geben. Wir werden Sie von unserer Entschließung erst noch benachrichtigen. Sie, Herr Winter“, wandte sie sich an Emil, „werden es sich noch einige Augenblicke bei uns gefallen lassen, ich habe den Wunsch, Sie näher kennen zu lernen. Leben Sie wohl, meine Herren!“
    Freudig überrascht von der Aufforderung der alten Dame trat der Eingeladene mit in das Haus, vor welchem sie jetzt gestanden, und saß einige Minuten später den beiden Frauen gegenüber.
    „Ich sehe mich veranlaßt, mein lieber Herr Winter“, begann die Baronin, „Ihnen eine recht ernste Strafpredigt zu halten.“
    „In welche ich mit Erlaubnis meiner Mama mit einstimme!“
    „Ich bin ganz unglücklich über diesen Beginn unserer Unterhaltung und bitte um die Mitteilung derjenigen Sünden, welche Ihren Zorn erregt haben.“
    „Es ist eine einzige, aber auch recht große und schwere Unterlassungssünde, unter welcher wir gelitten haben. Ich habe keine Passion für die sogenannten gesellschaftlichen Vergnügungen und suche meinen größten und fast einzigen Genuß in der Lektüre meiner Bücher. Die Autoren derselben sind die einzigen Freunde, deren Unterhaltung ich mich hingebe, und Freunde dürfen einander nur mit offenem Angesicht gegenüberstehen. Jetzt werden Sie den Grund meines Zornes kennen.“
    „Meine Verteidigung kann mir, da ich als Schriftsteller dem Leser stets Aufrichtigkeit und furchtlose Wahrheitsliebe entgegenbringe, nicht schwer werden. Ich bitte nur, einen Unterschied zwischen Autor und Individuum zu machen.“
    „Wer dem Leser seine Seele bietet, darf demselben seine Person nicht entziehen. Besonders wir Frauen wollen nicht bloß lesen, sondern auch sehen, zumal wenn wir von dem Herzen gedrängt werden, unsere Anerkennung auszusprechen. Wir interessieren uns selbst für die kleinsten Beziehungen eines Mannes, dem wir in Hinsicht auf unser Denken und Fühlen nahe stehen, und wenn zu dieser inneren sich auch noch eine äußere Verwandtschaft gesellt, wie es zwischen den Familien der Chlowickis und Winters der Fall ist, so ist ein gegenseitiges Fremdsein um so beklagenswerter.“
    „Verwandtschaft?“ fragte Winter ganz erstaunt, und auch Wanda richtete das Köpfchen fragend in die Höhe.
    „Freilich, und ich gestatte euch beiden, euch als Cousin und Cousine zu begrüßen.“
    „Aber gnädige Frau! –“
    „Mama!“
    „Ich sehe wohl, daß ich deutlicher sein muß. Ihr Vater

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