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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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am Abend an einer Stelle halt, welche vielleicht fünfzehn englische Meilen vom Fort entfernt sein konnte.
    Das war ein stiller, einsamer Ort, so ganz nach meinem Geschmack. Der Fluß bildete hier eine seeartige Erweiterung mit mehreren tiefen, schmalen Buchten, an deren einer ich landete und das Kanu befestigte. Es wollte bereits dunkel werden; ich brannte mir ein Feuer an und briet mir einige Fische, welche ich während der Fahrt geangelt hatte. Als ich diese einfache Mahlzeit beendet hatte, legte ich noch mehr Holz in die Flamme, wickelte mich in meine Decke und legte mich nieder.
    Aber von Einschlafen war noch keine Rede. Ich hatte so lange Zeit auf meinen alten, treuen Freund, den Urwald, verzichten müssen, und heute, da ich zum erstenmal wieder in seinen Armen lag, durfte ich ihm das Herzeleid nicht antun, einzuschlafen, ohne seinen ernsten, tiefen, schwermütigen Stimmen zu lauschen.
    Diese Stimmen sind von dem großen Meister der Schöpfung alle in Moll gesetzt, sind ja auch die einfachen Gesänge der Naturvölker stets in Moll komponiert. Ich lauschte der Abendhymne des Waldes, jenem leisen, aber sonoren Sausen, welches von tief gestimmten Aeolsharfensaiten zu kommen scheint. Es umgibt und umklingt einen von allen Seiten; es kommt aus allen Richtungen, und doch kann man nicht sagen, wo es beginnt und wo seine Noten geschrieben stehen. Dazu erklang in leichtem Rhythmus das kosende Plätschern und Glucksen der Wellen. Ein Eichkätzchen kam am Stamm einer Rüster herab, betrachtete mich mit seinen kleinen, neugierigen Äuglein und kehrte dann beruhigt in seinen Kober zurück. Zuweilen sprang in dem Schein, den das Feuer über das Wasser warf, ein Fisch empor und fiel mit lautem Klatschen wieder in sein Element zurück. Die brennenden Zweige prasselten in der Glut; eine Copperhead, zu den Kreuzottern gehörend, raschelte davon; sie hatte vielleicht ihr Sommerlogis grade in der Nähe des Feuers gehabt und machte sich jetzt aus dem Staub. Ein aus dem ersten Schlaf geweckter Käfer arbeitete sich mit mikrophonem Rascheln durch das abgefallene Laub; eine kleine Moskitoschar tanzte um den aufsteigenden Rauch einen sehr bewegten Reigen und ließ dabei ein feines, silbernes Klingen hören, welches plötzlich durch das unstete, heftige Summen eines großen, dicken Nachtfalters unterbrochen wurde, der mit tölpelhafter Rücksichtslosigkeit mitten unter sie hineinschoß, aber auch sofort seine Strafe erlitt: er versengte sich die Flügel und fiel in die Flamme. Vis-à-vis von mir, auf der anderen Seite der schmalen Bucht, erhob ein Frosch seine Stimme; er mußte ein riesenhafter Kerl sein, denn sein Quaken war ein förmliches Brüllen zu nennen. Er schien sich über meine Gegenwart höchst beleidigt zu fühlen, denn er ließ nicht jenes kurze, tief befriedigte ‚Quak!‘ oder jenes lang gezogene, glückselige ‚Qu – aaaak!‘ hören, mit dem ein normal gestimmter Froschbariton sein breites Maul aus dem Wasser schiebt, sondern es war ein höchst ärgerliches Belfern, ein beleidigendes, aller Rücksicht und Hochachtung bares Räsonieren, was er hören ließ, die reinste, ausgesprochenste Verbalinjurie, und – – – doch halt, was war das?
    Der Frosch brach plötzlich ab, und ich hörte, daß er in das Wasser zurückfuhr. Er war gestört worden; aber wodurch? Von wem?
    Wer jahrelang und unter tausend Gefahren sich im ‚wilden Westen‘ aufgehalten hat, der weiß jeden, auch den kleinsten Laut der Natur zu beurteilen. Ein Zweig knickte drüben, ein dürrer, dünner Zweig, der auf dem Boden gelegen hatte; ich hörte es deutlich, und so leise dieser Ton gewesen war, sagte er mir doch, daß er von dem Fuß eines Menschen verursacht worden sei. Zerbricht ein Ästchen, ein Zweig in der Höhe, so hat dies wenig zu bedeuten, denn es ist vom Wind oder von einem Tier geschehen, knickt das Holz aber am Boden, so ist die Möglichkeit vorhanden, daß ein Mensch in der Nähe ist. Und ein alter Waldläufer weiß an dem Geräusch sehr genau zu entscheiden, ob der Zweig von dem elastischen Fuß eines schleichenden Tiers oder dem weniger biegsamen eines Menschen zerbrochen wurde. Er weiß sogar durch langjährige Übung zu bestimmen, ob das Geräusch durch den hartsohligen Stiefel eines Weißen oder den weichen, nachgiebigen Mokassin eines Indianers hervorgebracht ist.
    Ich wäre in diesem Augenblicke eine jede Wette eingegangen, daß sich ein Indianer da drüben jenseits der Bucht befinde, und dies konnte nach dem gegenwärtigen

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