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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Dieser Geruch haftete ihm noch an, und daß er einen solchen Braten nicht verschmäht hatte, war mir der sicherste Beweis, daß er ein Kundschafter sei. Er hatte, um Zeit, Mühe und Umwege zu ersparen und das Geräusch verräterischer Schüsse zu vermeiden, das erste beste Opossum aus seinem Baumloch hervorgeholt und an diesem Fleisch seinen Hunger gestillt.
    Jetzt war er da, so nahe bei mir, daß ich ihn fast mit der Hand erreichen konnte. Er kroch an mir vorüber, langsam und lautlos, mit dem Leib am Boden wie eine Schlange. Wer dieses Anschleichen nicht selbst versucht hat, glaubt gar nicht, welch eiserne Muskeln und stählerne Nerven dazu gehören, sich mit langgestrecktem Körper nur auf den Spitzen der Füße und Finger über die Erde hinzuschieben. Benutzte man dabei die Sohlen der Füße, die Teller der Hände oder gar das Knie, so würde wiederholtes Geräusch ganz unvermeidlich sein. Als vorher der Zweig knickte, waren jedenfalls die Muskeln des Indianers ermüdet gewesen und er hatte infolgedessen den Boden für einen Augenblick mit dem Knie berührt. Die Stelle, auf welche man die Finger setzen will, wird vorher mit den Spitzen derselben sorgfältig untersucht, ob da nichts Zerbrechliches vorhanden ist. Genau auf dieselbe Stelle kommen dann im Weiterschleichen die Fußspitzen zu ruhen. Mancher ganz gute Schütze und ganz brave Westmann bleibt während seines Lebens doch ein schlechter Anschleicher. ‚La-ya-tishi, mit den Fingern sehen‘ nennen die Navajos sehr bezeichnend diese für den Feind so gefährliche Fertigkeit.
    Jetzt war er an mir vorüber, und nun mußte ich handeln. Ich ließ die mir hinderliche Büchse unter den Büschen liegen und kroch ihm nach; ich erreichte ihn und schnellte mich auf seinen lang gestreckten Körper. Mit der Linken sein Genick umspannend, schlug ich ihm die geballte Hand auf den Hinterkopf – er brach besinnungslos zusammen. Nun nahm ich mein Lasso vom Gürtel und schlang es ihm dergestalt um die Arme und Beine, daß er sich nicht bewegen konnte, dann trug ich ihn, nachdem ich zuvor meine Büchse geholt hatte, nach dem Feuer. Hier legte ich ihn nieder und fachte die Glut von neuem an, um sein Erwachen genau beobachten zu können.
    Es dauerte lang, ehe er die Augen aufschlug, aber trotz der scheinbar gefährlichen Situation, in welcher er sich befand, verriet kein einziger Zug seines ehernen Gesichts eine Spur von Überraschung oder Schreck. Er schloß die Augen wieder und blieb wie leblos liegen, aber ich bemerkte doch, wie sich leise und heimlich seine Muskeln spannten, um die Festigung der Fesseln zu prüfen. Er trug den bloßen Haarschopf eines gewöhnlichen Indianers und war nur mit Hemd, Hose und Mokassins bekleidet, alles aus Leder gearbeitet. In seinem Gürtel sah ich ein Messer und einen Tomahawk, den Medizinsack und einen Kugelbeutel. Der letztere bewies mir, daß er sein Gewehr, vielleicht auch sein Pferd in der Nähe versteckt habe, um sich ungehindert anschleichen zu können. Ich wußte, daß er auf keinen Fall das Gespräch beginnen werde, und fragte daher in jenem Gemisch von Englisch und Indianisch, welches längs der Indianergrenze im Gebrauch ist:
    „Was wollte der rote Mann bei meinem Feuer?“
    „Tcha-tlo!“ antwortete er knirschend.
    Dieses Wort stammt aus dem Navajo-Dialekt und bedeutet Frosch, Großmaul, Quaker, unnützer Redner, Feigling, der sofort sich verbirgt; es enthielt also eine Beleidigung, die ich aber überhörte. Warum sprach dieser Mann im Navajos? Er sah mir mehr wie ein Sioux aus.
    „Du hast recht, dich über diesen Frosch zu ärgern“, antwortete ich; „er hat dich verraten. Hättest du ihn nicht gestört, so wärst du nicht mein Gefangener. Was denkst du wohl, was ich nun mit dir tue?“
    „Ni niskhi tsetsetsokhiskhan shi – töte und skalpiere mich!“ antwortete er.
    „Nein, das tue ich nicht“, sagte ich. „Ich bin nicht dein Feind; ich bin ein Freund aller roten Männer. Ich nahm dich nur gefangen, um mich vor Schaden zu bewahren. Zu welchem Volke gehörst du?“
    „Shi tenuai!“
    Das Wort tenuai heißt ‚Männer‘; so nennen sich die Navajos; er meinte also ‚ich bin ein Navajo‘; ich aber antwortete:
    „Warum sagst du mir die Unwahrheit? Ich kenne die Sprache der Tenuai; du sprichst sie nicht gut. Ich höre an deiner Aussprache, daß du ein Mann der Tetongs bist. Rede deine eigene Sprache oder die Sprache der Weißen. Ich liebe die Wahrheit und werde dir auch die Wahrheit sagen!“
    Da richtete er zum

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