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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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so außerordentlich empfiehlt. Ganz besonders fiel mir die achtungsvolle Sorglichkeit auf, welche der Gitano für seine Begleiterin zeigte und mit welcher er ihr den beschwerlichen Ritt auf dem steilen, holprigen Saumpfad zu erleichtern suchte. Wenn sein dunkles Auge forschend auf ihrem leichtgebräunten Angesicht ruhte, so antwortete ihm jedesmal ein leises Lächeln, in welchem trotz seines beruhigenden Ausdrucks doch eine nur mit Mühe unterdrückte Besorgnis nicht zu verkennen war, und wenn er mit ihr sprach, was immer nur halblaut geschah, so daß ich die Worte nicht verstehen konnte, so hatte der Ton seiner Stimme stets einen beruhigenden und beschwichtigenden Klang, und ich kam schließlich zu der Überzeugung, daß die beiden Leute sich unter dem Einfluß irgendeiner Gefahr befinden mußten.
    „Santa madre de dio!“ seufzte der Mulero; „das ist eine Hitze, wie ich sie zwischen diesen Felsen noch nie erlebt habe. Danken wir den Heiligen, daß wir sogleich an die Estanzia meines Freundes Diego Bonomaria kommen, wo wir uns in den Schatten niederstrecken und ausruhen können. Das ist auch ein Ort, wo die carlistischen Teufel gehaust haben wie die Wilden. Das Haus angesteckt, die Bewohner umgebracht, und alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war. Möchten sie dafür tausend Jahre länger im Fegefeuer brennen!“
    Der Ritt ging noch um eine Ecke, und dann sah man die Estanzia vor sich liegen, oder vielmehr, früher hätte man sie vor sich liegen sehen können; denn jetzt bemerkte man nur einen Trümmerhaufen, aus welchem die vier brandgeschwärzten Umfassungswände hervorragten.
    „Da, seht hin, Señor, und Ihr müßtet kein Mensch sein, wenn Eure Hand nicht unwillkürlich nach dem Messer zuckte, um es dem ersten dieser Schurken, der uns begegnet, in die Rippen zu stoßen. Meine Seidenballen und Madrinas (Maultiere) mögen immer zum Teufel sein; ich werde diese Scharte doch in irgendeiner Weise wieder auszuwetzen wissen; aber daß diese Barbaren meinen Freund Diego Bonomaria gemordet haben, das kann ich ihnen nie vergessen. Wenn ich nach Alfaro komme, werde ich ihm ein Dutzend Messen lesen lassen, und ich will nicht selig werden, wenn ich mit der Zeit nicht ebenso viel gute Messerstiche an den rechten Mann bringe!“
    Man stieg ab, überließ die Tiere, nachdem sie abgezäumt und an den Vorderfüßen gefesselt waren, ihrem eigenen Instinkt und suchte sich zwischen den eingefallenen Mauern einen kühlen Winkel, um auszuruhen und ein kurzes Schläfchen zu halten.
    Wieder sorgte der Gitano mit der größten Aufmerksamkeit für die Bequemlichkeit seiner Reisegefährtin. Sie dankte ihm mit einem warmen Blick ihres großen, seelenvollen Auges, und bald breitete der erquickende Schlaf seine weichen Schwingen über sie und den Maultiertreiber.
    Der Zigeuner schlief nicht. Vielmehr lehnte er sich in aufrecht sitzender Stellung, der man es anmerkte, daß er zu wachen gesonnen sei, an die Mauer, und auch meine Augen wollten sich nicht schließen, da ich immer und immer wieder den Blick auf die schöne Gruppe vor mir richten mußte. Der Gitano Spaniens ist ein stolzer Gesell, mit dem sich sein vagabundierender Verwandter in Ungarn nicht messen kann; aber in der Haltung, den Zügen, dem ganzen Wesen dieses jungen Mannes lag etwas so Distinguiertes, so Achtungsgebietendes, daß es mir schwer wurde, mir ihn als einen Angehörigen jenes Stammes zu denken, welcher zur ewigen Heimatlosigkeit verdammt zu sein scheint.
    Da plötzlich richtete sich sein Kopf in die Höhe, die stolzen Brauen zogen sich aufwärts, und die Hand fuhr nach der Brust. Draußen ertönte das Getrappel von Pferden, und laute Stimmen wurden vernehmlich; Sporengeklirr und Säbelgerassel näherten sich unserem Zufluchtsort, und bald stand eine Anzahl zwar buntgekleideter, aber kriegerisch aussehender und gut bewaffneter Leute vor uns, welche uns mit neugierigen und mißtrauischen Blicken musterten.
    „Holla! Was treibt sich denn da für Gesindel herum?“ fragte der vorderste von ihnen. „Wißt Ihr nicht, daß das Passieren von Schleich- und Nebenwegen höchst verdächtig ist?“
    Der Mulero war erwacht und hatte sich erhoben, während die Gitani ebenso wie ich in ihrer ruhenden Lage verharrten.
    „Da habt Ihr ein wahres Wort gesprochen“, antwortete er, indem sein sonnverbranntes Gesicht den Ausdruck offenen Hasses zeigte. „Diese Wege geht nur der ehrliche Maultiertreiber; sie sind nur für ihn da, und wer außer ihm sie benutzt, der hat

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