40 Stunden
Tonfall, den sonst Pia an den Tag legte.
Die lachte. » Komm schon!« Sie warf Dennis einen Seitenblick zu. Auch sie schien von dem Flügeltattoo fasziniert zu sein. » Auch die schönste Nacht ist mal zu Ende!«
» Ja«, gab Dennis zurück. » Aber doch nicht jetzt schon!« Sein Blick lag so schwer auf Jenny wie ein Bleigewicht, und sie stellte sich vor, wie es sich anfühlen würde, wenn er sie tatsächlich anfasste. Richtig anfasste. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch spielten verrückt.
» Weißt du denn, wo man noch hingehen kann?«, fragte sie ihn.
» Klar.« Mit dem Kopf wies er zur Tür. » Wenn du mitkommst, zeige ich es dir.«
Jenny war drauf und dran, ja zu sagen.
» Jenn!«, sagte Pia unbehaglich. » Ich finde, das ist keine so gute Idee!«
» Warum nicht?«, wandte Dennis sich jetzt an sie. » Du tust ja gerade so, als sei ich der Bombenleger, der die Stadt unsicher macht.« Er machte das Geräusch einer Explosion nach. Dann lachte er laut und nahm den letzten Schluck aus seiner Bierflasche.
» Ich komme mit«, entschied Jenny.
Pia sah ärgerlich aus. » Du musst selbst wissen, was du tust«, meinte sie. » Ich jedenfalls gehe zurück in die Jugendherberge. Weck mich bitte nicht, wenn du kommst.« Sie verabschiedete sich kurz angebunden von Dennis, dann stiefelte sie wütend davon.
Jenny musste kichern. » Sie ist ein bisschen eifersüchtig«, sagte sie.
» Eifersüchtig?« Dennis’ Augen blitzten amüsiert.
Sie hakte sich bei ihm unter. » Und? Wohin entführst du mich jetzt?«
Sie fühlte sich großartig.
***
Faris schlief nicht, er fiel in eine Art Ohnmacht, tief und dunkel und traumlos. Erst nachdem sein Geist es schaffte, die endlose Erschöpfung zu überwinden, glitt er in einen Schlaf hinüber, der erfüllt war von wirren Träumen. Wieder sah er Pauls verkohlten Körper vor sich, diesmal hielt er ihn in den Armen. Pauls Augen waren geschlossen, die Lider glänzten schwarz, doch plötzlich hoben sie sich mit einem Ruck. Auch diesmal waren die Augäpfel milchweiß wie Murmeln, und doch wusste Faris, dass sein Partner ihn ansah. » Du hast nicht auf den Auslöser gedrückt«, sagte er, und Faris stieß ihn von sich, als habe er sich an ihm verbrannt. Er taumelte rückwärts. » Ich bewache das Handy«, sagte eine weibliche Stimme, aber als er sich umdrehte, stand nicht Ira vor ihm, sondern Laura. Er krümmte sich, das Feuer einer Explosion brandete heran, hüllte erst sie ein, dann ihn, aber er spürte die Flammen nicht. Alles, was er empfinden konnte, war Entsetzen darüber, dass Laura vor seinen Augen zu Staub zerfiel…
Mit einem Keuchen fuhr er aus dem Schlaf. Das Zimmer lag in fast völliger Finsternis, nur ein schmaler Streifen Licht fiel durch einen Spalt im Vorhang.
» Du hast wieder geträumt«, hörte er eine leise Stimme aus dem Dunkel sagen. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, fühlte sich völlig orientierungslos.
» Du bist noch da«, war alles, was ihm einfiel. Er verspürte Bedauern über die räumliche Distanz, die zwischen ihnen lag.
» Ja«, sagte sie nur. Sie saß in dem Sessel am Ende seines Bettes. Er konnte ihren Geruch an sich wahrnehmen.
» Entschuldige«, sagte er und wusste nicht, wofür er sich entschuldigte.
» Wer ist Laura?«
Er stemmte sich auf die Ellenbogen. Hatte er den Namen im Schlaf vor sich hingemurmelt? Er biss sich auf die Zunge, bevor ihm eine weitere Entschuldigung rausschlüpfte. » Meine Ex.« Sein Körper fühlte sich an wie durch die Mangel gedreht. » Wie spät ist es?«
» Kurz vor sechs.«
Himmel, alles in allem hatte er wirklich ein paar Stunden am Stück geschlafen. Das war ihm in den ganzen letzten zehn Monaten nicht ein einziges Mal gelungen. Reflexartig überschlug er, wie viel Zeit ihnen noch blieb, um die Explosion im Olympiastadion zu verhindern, und kam auf achtzehn Stunden. Mit einem Ruck fuhr er in die Höhe. Die Platzwunde an seiner Stirn pochte dumpf, ebenso wie seine Schulter und all die Prellungen, die er sich am vergangenen Tag zugezogen hatte. Aber zu seiner Erleichterung war ihm nicht mehr schwindelig. Offenbar hatte der Schlaf ihm tatsächlich gutgetan.
» Beruhige dich, der Anrufer hat sich nicht gemeldet«, sagte Ira. » Und von deinen Kollegen auch niemand. Ich habe dein Smartphone an den Strom angeschlossen, nur für den Fall. Von dem anderen Handy hatte ich leider kein Kabel, aber der Akku ist noch voll.«
Faris musste überlegen, wo das Ladekabel war, das er zusammen mit dem Billighandy gekauft
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