40 Stunden
genommen und sich darangemacht, Nachschub zu kochen.
Die Liste mit Einträgen zu ihrem Fall war inzwischen auf ein kaum noch überschaubares Maß angewachsen. Faris wusste, dass im Hintergrund der Dig AA Algorithmen abliefen, die die Masse an Informationen strukturierten, sortierten und nach Zusammenhängen suchten, die den Ermittlern entgingen. Er konnte sich allerdings nicht daran erinnern, dass die SERV jemals einen Fall aufgrund dieser Algorithmen gelöst hatte. Aber er fragte auch nicht nach, ob das bei anderen Abteilungen vorkam. Er wollte sich weiterhin einreden können, dass es ihr menschlicher Verstand war, der Berlin vor den Schurken bewahrte, nicht irgendwelche Nullen und Einsen in einem Computer.
Wahllos öffnete er einige Vermerke, las sie quer und schloss sie wieder, weil sie ihm nichts brachten. Während er noch auf die lange Liste starrte und versuchte zu entscheiden, wie er sinnvoll mit den Daten umgehen sollte, erschien ganz unten ein neuer Eintrag. Er trug den aktuellen Zeitstempel, und als Faris ihn anklickte, sah er, dass es sich um das Befragungsprotokoll eines gewissen Norbert Langner handelte, des Ehemannes von einem der Opfer aus dem Klersch-Museum. Der Mann hatte für die Zeitpunkte aller vier Bombenexplosionen ein Alibi und schied folglich als Täter aus.
Einer Eingebung folgend, öffnete Faris die Liste der Museumsopfer. Er ließ seinen Blick die Namen entlangwandern, bis er die Frau des Befragten fand. Nina Langner war bei ihrem Tod erst siebenundzwanzig gewesen. Kurz verschwammen die Zeilen vor Faris’ Augen. Er blinzelte und ging die Liste weiter durch.
Langner, Nina.
Mayer, Hiltrud.
Mechow, Ludmilla .
Zu Ludmilla Mechow gab es keinen Eintrag. Die Befragung ihrer Angehörigen war die einzige, die im System noch fehlte, stellte Faris mit einem prüfenden Blick fest.
Plötzlich riss Tromsdorffs Stimme Faris aus seinen Gedanken.
» …und bringen Sie ihn in den Verhörraum!«
Erst jetzt bemerkte Faris, dass jemand den W ar Room verlassen haben musste, denn die Tür stand offen. Er konnte ein Stück des Ganges und den oberen Absatz der Treppe überblicken, auf der sich mehrere Männer näherten. Tromsdorff ging voran. Ihm folgten zwei Kollegen in Uniform, die zwischen sich einen jungen Mann mit wirren schwarzen Haaren und vor dem Leib gefesselten Händen führten. Als sie an der Tür des Konferenzraumes vorbeikamen, hob der Gefangene den Kopf. Seine kinnlangen Haare rutschten zur Seite und gaben ein schmales, blasses Gesicht frei.
» Herr im Himmel!«, hauchte Gitta, und ihr Blick flog zu dem Foto aus Iras Album, das an der Fallwand hing.
In Faris’ Brust lag plötzlich ein kalter Stein.
Der Mann war Alexander Ellwanger.
Und es war erschreckend, wie jung er aussah.
Faris erbat sich von Tromsdorff die Erlaubnis, Alexander als Erster befragen zu dürfen. Tromsdorff zögerte, denn offiziell war Faris’ Suspendierung immer noch nicht aufgehoben worden, aber Dr. Geiger war zu dieser frühen Stunde noch nicht im Haus, und sie brauchten schnellstens Ergebnisse. Also stimmte Tromsdorff schließlich zu, wenn auch sichtbar schweren Herzens.
Bevor er zu Alexander ging, nahm Faris einige Fotos von der Fallwand und legte sie in einen Aktendeckel. Vor der Tür zum Verhörraum verharrte er, und es dauerte zwei, drei Sekunden, ehe er die Kraft fand einzutreten. Die Luft in dem kleinen, kahlen Raum war kühl und roch nach Klimaanlage. Außer einem Tisch mit eingebautem Mikrofon und einem Paar schlichter Plastikstühle gab es keinerlei Möbel.
Alexander saß auf einem der Stühle. Seine Handschellen hatte man ihm abgenommen. Er hockte da wie ein Häufchen Elend, den Kopf gesenkt, die Hände wie zum Gebet gefaltet. Ein strenger Geruch strömte von ihm aus, den Faris nur allzu gut kannte. Schweiß und Blut . Alexanders Kleidung war übersät mit eingetrockneten Spritzern. Das schwarze Kapuzenshirt, das er trug, klebte ihm an der Haut und zeichnete seine Rippen nach.
Faris warf einen Blick durch den Einwegspiegel zu seiner Rechten. Er wusste, dass sich seine Kollegen im Nebenraum befanden. Einer von ihnen würde zu ihm stoßen, bereit, die Befragung zu übernehmen, sobald etwas Unvorhergesehenes geschah oder Faris in eine Sackgasse geriet.
Früher hatte das Paul gemacht …
Plötzlich überkam Faris ein nagendes Gefühl von Verlorenheit. Das Wissen, dass er diesmal nicht auf die Rückendeckung seines Partners zählen konnte, dass er es niemals wieder können würde, zerrte an seinen
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