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40 Stunden

40 Stunden

Titel: 40 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Nerven. Er atmete durch. Dann trat er an den Tisch, legte den Aktendeckel darauf. Das Aufnahmegerät zwischen sich und dem jungen Mann ignorierte er. » Alexander Ellwanger?«, fragte er.
    Alexander reagierte nicht sofort. Undeutlich konnte Faris ihn vor sich hinmurmeln hören, und er vermutete, dass der Junge betete. Dann, nach vielleicht zwei oder drei Minuten, die Faris geduldig verstreichen ließ, hob Alexander den Kopf. » Ja.« Seine Stimme klang heiser.
    Er war fast noch ein Kind. Seine Züge wirkten weich, nur wenige Bartstoppeln wuchsen ihm auf Kinn und Oberlippe. Das Blut, das seinen gesamten Körper besudelte, war ihm offenbar auch ins Gesicht gespritzt. Er hatte es abgewaschen, aber nicht gründlich genug. An seinem Jochbein und auch links neben seinem Nasenflügel fanden sich Spuren davon. Ebenso unter seinen Fingernägeln.
    Faris hielt den Blick auf Alexanders Hände gerichtet, während er den Stuhl vom Verhörtisch fortzog und sich setzte.
    » Sie haben sich ganz schön schmutzig gemacht«, begann er.
    Der junge Mann betrachtete seine Hände, als gehörten sie nicht zu ihm. » Das ist Blut«, wisperte er fast unhörbar.
    Faris wartete einen Moment, ob er von sich aus weitersprechen wollte, doch er tat es nicht. » Das Blut Ihres Vaters?«, fragte Faris darum.
    Alexander nickte.
    Überrascht sah Faris auf und unterdrückte einen Anflug von Erregung. Sollte es wirklich so einfach sein, ein Geständnis zu bekommen? » Haben Sie Ihren Vater… gekreuzigt, Herr Ellwanger?«, hakte er vorsichtig nach.
    » Herr Ellwanger ist mein Vater. Bitte nennen Sie mich Alexander. Das tun alle.«
    » Gut. Also Alexander. Haben Sie Ihren Vater gekreuzigt?« Diesmal verursachte es ihm schon weniger Unbehagen, das letzte Wort auszusprechen.
    Alexander drückte die Handflächen zusammen. Es sah aus, als müsste er sich an sich selbst festhalten. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, sah er auf. » Ja.«
    » Wo ist er?«
    Aber Alexander schüttelte nur den Kopf und presste die Lippen aufeinander.
    Faris beugte sich ein wenig vor. » Wollen Sie es mir nicht lieber sagen?«
    Alexander schüttelte erneut den Kopf.
    » Warum nicht?«
    » Weil ich nicht darf!«
    Die Neonröhre unter der Decke summte leise. In Faris’ Ohren verwandelte sich das Geräusch in ein schwaches Piepsen. » Wer verbietet es Ihnen?«
    » Mein Vater.«
    Faris zog Luft durch die Zähne. » Wie bitte?«
    Alexander blickte hoch. In seinen Augen schimmerte etwas, das wie Wahnsinn aussah.
    » Ihr Vater verbietet Ihnen zu verraten, wo Sie sein Kreuz aufgebaut haben.« Faris formulierte es als Feststellung.
    Alexander nickte.
    » Sie reden von Ihrem himmlischen Vater, von Gott, nicht wahr?«
    » Nein.«
    » Warum verbietet es Ihr Vater, Alexander?«
    Auf diese Frage wusste Alexander entweder keine Antwort, oder aber er weigerte sich, eine zu geben. Er senkte einfach den Kopf. Seine schwarzen Haare rutschten ihm vor die Augen und verstärkten Faris’ Eindruck, einen verstockten Teenager vor sich zu haben.
    » Warum verbietet es Ihr Vater?«, wiederholte er.
    » Weil Christus ihm noch nicht erschienen ist.«
    Faris lehnte sich zurück. » Das müssen Sie mir erklären.«
    Und zu seiner Verblüffung begann Alexander tatsächlich zu sprechen. Er sprach von spiritueller Erfahrung, von Vergebung der Sünden durch Reinwaschung mit Blut, von der grenzenlosen Angst vor der ewigen Verdammnis. Und er sprach von der Begegnung mit Gott in Jesus Christus, von dem Aufgehen im Leiden Christi.
    Faris verstand von alldem kein einziges Wort.
    Er warf einen schnellen Blick zu dem Spiegel und bedauerte es, dass er seine Kollegen nicht sehen konnte. Hoffentlich wusste Shannon mit all dem Unsinn etwas anzufangen.
    Dann wandte er sich wieder dem jungen Mann zu, der zusammengesunken auf seinem Stuhl saß. Ein tiefgreifendes Grauen bohrte sich in seine Brust. » Korrigieren Sie mich, wenn ich etwas Falsches sage. Sie haben Ihren Vater an ein Kreuz genagelt, um ihm ein spirituelles Erlebnis zu verschaffen.«
    Alexander nickte.
    » Aber welche Bedeutung haben dann die Bomben?« Die Frage kam scharf und knapp.
    Überrascht zuckte Alexanders Kopf hoch. » Was für Bomben?« Seine Miene war ehrlich erstaunt.
    » Die Bomben, die Sie gestern in Berlin haben hochgehen lassen, Alexander!«
    Auf einmal sah der junge Mann aus, als wollte er aufspringen und davonlaufen. Seine Hände begannen zu zittern, sein Kinn ebenfalls. Er wirkte nicht wie der kühl und intelligent agierende Anrufer, und vor

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