40 Stunden
allem wirkte er nicht im Geringsten wie ein Bombenleger. Faris’ Blick heftete sich auf das Kapuzenshirt von Alexander. Es glich dem Shirt des Mannes auf dem Video. Faris nahm dies als Beleg dafür, dass Alexanders Behauptungen stimmten. Er hatte seinen Vater ans Kreuz genagelt, und er war dabei gefilmt worden. Der Anrufer hingegen, ihr geheimnisvoller zweiter Täter, blieb nach wie vor unbekannt.
» Ich weiß nichts von irgendwelchen Bomben«, murmelte Alexander und riss Faris damit aus seinen Grübeleien.
» Wer hat Ihnen geholfen, es zu tun?«, schoss er seine nächste Frage ab.
Alexander begriff, dass von der Kreuzigung die Rede war, nicht von den Bomben. » Ich… niemand…« Die Lüge stand ihm ins Gesicht geschrieben. Jemand hatte ihm geholfen, und er wusste, wer es war.
Faris zögerte. Er überlegte, wie er jetzt am besten vorgehen sollte, und entschied sich dafür, den Druck auf Alexander zu erhöhen. Er würde weiterhin so tun, als halte er ihn auch für den Bombenleger. Gewöhnlich erklärten sich Verdächtige eher bereit, ihre Komplizen zu verraten, wenn sie selbst die Konsequenzen einer Tat zu spüren bekamen.
Mit einem Ruck stemmte Faris sich auf die Füße. » Verkaufen Sie mich nicht für dumm! Sie haben Ihren Vater gekreuzigt, das haben Sie eben selbst zugegeben. Sie haben ihn mit Elektroden verkabelt, die mit einer Bombe im Olympiastadion gekoppelt sind. Sie haben die U-Bahn in der Bismarckstraße in die Luft gejagt, das Büro meines Freundes und die Gartenlaube Ihres…« Doch bei den letzten Worten ging ihm die Luft aus. Er sah Pauls verkohltes Gesicht vor sich und stützte sich an der Tischkante ab, weil er Angst hatte zu taumeln.
So weit wie möglich wich Alexander vor ihm zurück. » All das habe ich nicht getan«, wisperte er. Tränen stiegen ihm in die Augen.
Faris griff sich den Aktendeckel, in dem er die Fotos aufbewahrte. Der Reihe nach zog er sie hervor und knallte sie vor Alexander hin: das Bild der alten Nonne, das der verkohlten Leiche des Obdachlosen, die Ruine der Gartenlaube. Sein eigenes Herz hämmerte.
» Sehen Sie sich an, was Ihre Bomben angerichtet haben«, forderte er Alexander auf und tippte auf das Bild mit der Nonne. » Das war eine Ordensschwester, Alexander. Ihre Bombe hat sie getötet, als sie auf dem Weg zu einem Gottesdienst war. Wollen Sie wissen, wie sie heißt? Ihr Name war Schwester Xaveria.« Er hatte den Namen zuvor von der Fallwand abgelesen und ihn sich genau eingeprägt. » Was meinen Sie? Hat diese Frau sich darauf gefreut, heute Abend den Papst zu sehen? Und in ihrer Obhut befanden sich Kinder. Kinder, Alexander!« Wieder musste er innehalten. Sein Herz schien seine ohnehin schon angeknacksten Rippen sprengen zu wollen.
Er setzte sich, zwang sich, ruhig zu atmen, und fühlte die Blicke seiner Kollegen, die in seinem Genick brannten.
» Ich… habe… mit den… Bomben… nichts zu tun.« Alexander stammelte plötzlich. Die Tränen, die eben noch in seinen Augen geglitzert hatten, rannen ihm nun über die Wangen. Er streckte die Hand nach dem Bild der Nonne aus. Sanft strich er mit den Fingerspitzen darüber. » Der Engel! Er war es. Bestimmt!«
» Welcher Engel?« Plötzlich war Faris’ Stimme atemlos und flach. Er erhob sich. Durch das Pfeifen in seinen Ohren hörte er nur undeutlich, wie sich die Tür des Verhörraums öffnete. » Mach mal eine Pause«, schlug Marc vor. » Ich übernehme für eine Weile.«
Dankbar nickte Faris ihm zu. Draußen auf dem Gang lehnte er sich gegen die Wand, legte den Kopf zurück, sodass er den Rauputz spüren konnte. Bilder zuckten durch sein Hirn, eines nach dem anderen, jedes nur für Sekundenbruchteile. Die alte Nonne mit den hellen Augen. Die Überreste des Obdachlosen. Pauls entstelltes Gesicht. Er hörte das Kind aus dem Klersch-Museum weinen. Es weinte und weinte, bis Faris glaubte, es nicht mehr ertragen zu können. Bis er fast den Verstand verlor, sich umdrehte. Mit der Faust drosch er auf die verputzte Wand ein– einmal, zweimal.
» Lass gut sein!« Tromsdorff war bei ihm, hielt seinen Arm fest. » Komm.«
Als Faris hinter ihm den Beobachtungsraum neben dem Verhörzimmer betrat, fragte Marc gerade: » Wo sind die Bomben, Alexander?«
27. Kapitel
» Ich habe nichts mit irgendwelchen Bomben zu tun.«
Alexanders heisere Stimme überschlug sich beinahe, als Marc ihn wieder und wieder mit der Frage nach den Bomben konfrontierte.
Marc hatte das Aufnahmegerät gestartet, das Faris ignoriert hatte, und
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