Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
40 Stunden

40 Stunden

Titel: 40 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
Vom Netzwerk:
beginnen.« In der Keithstraße lag das LKA 1, die Abteilung für Delikte am Menschen, zu dem auch die SERV gehörte.
    » Wie kommen Sie darauf, dass dies ein Fall für die SERV ist?«, fragte Andersen.
    Während der Unterbrechung durch den Mann von der Senatsverwaltung hatte Faris das Video abgespielt und an einer Stelle angehalten, an der der Gekreuzigte gut zu sehen war. Jetzt hielt er das Smartphone so, dass Andersen einen Blick darauf werfen konnte. » Das habe ich kurz vor der Explosion erhalten.«
    Andersens Miene war undurchdringlich. Wortlos sah er auf, beobachtete, wie der Innensenator aus der Limousine stieg und sofort von einer Traube Menschen umringt wurde. » Einverstanden«, entschied er. » Sie scheinen recht zu haben. Das sieht tatsächlich aus wie ein Fall für die SERV . Fahren Sie! Ich komme hinterher, sobald ich kann.«
    ***
    Jenny erwachte, weil draußen auf dem Gang irgendjemand laut » Dieter!« schrie.
    Sie blieb regungslos liegen– auf der Seite, eine Hand unter dem Gesicht, die andere hinten auf dem Rücken. So schlief sie oft, seit der Kinderarzt ihr vor sechs Jahren empfohlen hatte, die Bauchlage zu vermeiden. Der Typ auf dem Gang schrie erneut » Dieter!«, und Jenny brummte: » Zeig dich, Dieter, oder ich mache dich kalt!«
    Dann schlug sie die Augen auf.
    Über ihr befand sich die Unterseite einer Matratze. Ein durchgelegener Metallrost aus unzähligen Eisenringen, vierfach ineinander verschlungen wie bei diesem Kettenhemd, das Jenny vor ein paar Monaten in dem Museum in Rothenburg gesehen hatte. Als sie und ihre beste Freundin Pia vorgestern hier in der Jugendherberge Quartier bezogen hatten, war nur noch dieses eine Etagenbett frei gewesen, und die beiden Mädchen hatten sich eine Weile gestritten, wer oben schlafen durfte. Pia hatte sich am Ende durchgesetzt.
    » Dieter, du Arsch!«, ertönte die Stimme ein drittes Mal. » Jetzt komm endlich!«
    Jenny verkniff sich ein Grinsen. Außer den Dutzenden von Kirchentagsbesuchern, die die Jugendherberge zurzeit bewohnten, logierten hier auch noch etliche junge Männer, die offenbar auf irgendeinem Rockfestival waren. Die meisten von ihnen trugen löchrige Jeans und Lederjacken. Gestern Abend beim Essen hatte Jenny einen jungen Mann mit langen pechschwarzen Haaren entdeckt, dessen Bizeps und Hals mit Tattoos übersät waren. Der Typ hatte ihr zugelächelt, als sie gemeinsam an der Salatbar angestanden hatten, und irgendwie hatte Jenny ihn süß gefunden. Ob sie ihm wohl heute nochmal begegnen würde?
    Gähnend setzte sie sich auf. Sie hatte schlecht geschlafen, denn die anderen vier Bewohnerinnen ihres Sechs-Bett-Zimmers hatten erst bis weit nach Mitternacht miteinander geschnattert, und dann hatten zwei von ihnen so laut geschnarcht, dass es schon fast wieder lustig gewesen war. Zum Glück hatten die vier Grazien sich früh am Morgen schon vor sechs aus dem Bett gequält und waren verschwunden. Dankbar hatten Jenny und Pia die Stille nach ihrem Abzug genutzt, um noch eine Mütze Schlaf zu bekommen.
    Jetzt tastete Jenny nach ihrer Armbanduhr, die sie sich– vorsichtig und jugendherbergserfahren, wie sie war– unter das Kopfkissen gelegt hatte. Sie blinzelte sich den Schlaf aus den Augen und schielte nach der Zeit. Fünf vor halb neun. Perfekt!
    Zufrieden schwang sie die Füße aus dem Bett.
    » Dieter!«, schrie die Stimme draußen auf dem Gang erneut. Sie hatte sich entfernt, klang nur noch dumpf, wie um mehrere Ecken herum.
    » Dieter, Dieter«, murmelte Pia verschlafen aus der oberen Koje des Etagenbettes. » Wenn dir mal nichts Schlimmes passiert ist.«
    Jenny grinste. » Vielleicht liegt er tot im Landwehrkanal.« Zusammen hatten Pia und sie sich gestern eine Rosa-Luxemburg-Ausstellung angesehen und danach eine Weile darüber diskutiert, wie die Arbeiterführerin gestorben war.
    Der Bettrost über Jenny quietschte, dann erschien Pias wuscheliger Blondschopf an der Kante. » Gut geschlafen?«
    Jenny gähnte nochmals. » Nachdem die Bären den Wald verlassen hatten, ja.« Sie reckte sich. » Ein bisschen kurz, aber egal.« Heute hatten sie ein strammes Programm vor sich. Zwei Bibelkreise wollten sie besuchen, einen Gottesdienst in der Gedächtniskirche und noch so einiges andere.
    Jennys Gedanken wanderten zu dem langhaarigen Typen vom Abendessen zurück. Warum eigentlich hatte sie ihn nicht nach seinem Namen gefragt?
    Sie stand auf, trat ans Fenster und streckte sich. Der Himmel wirkte grau, was schade war angesichts der Tatsache,

Weitere Kostenlose Bücher