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40 Stunden

40 Stunden

Titel: 40 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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lag, also dem, was man landläufig Profiling nannte. Ursprünglich war die SERV hauptsächlich wegen der zunehmenden Anzahl von Gewalttaten im islamischen Milieu genehmigt worden. Aber bald hatte sich herausgestellt, dass es auch genügend andere radikal-religiöse Gruppierungen gab, um die sie sich kümmern mussten. Sie hatten sowohl mit fundamentalistischen Christen zu tun als auch mit Mordfällen unter orthodoxen Juden oder im Sektenmilieu.
    Mitten im Raum hielt Tromsdorff inne und starrte Faris an. » Grundgütiger!«, entfuhr es ihm. Er war ein sportlicher, durchtrainierter Mann, der die Angewohnheit hatte, seine Sakkos mit T-Shirts zu kombinieren, was ihn ein wenig wie Sonny Crockett aus der alten Fernsehserie Miami Vice aussehen ließ. Er war jedoch alles andere als ein Draufgänger, sondern galt im LKA 1 als fähiger, besonnener Teamführer. Faris verdankte ihm viel, denn Tromsdorff hatte ihn gefördert und ihn davon überzeugt, seine Begabungen in den Dienst der SERV zu stellen. Eine Entscheidung, die Faris nie bereut hatte.
    Ohne Paul oder Marc nur eines Blickes zu würdigen, trat Tromsdorff vor Faris. Nachdenklich betrachtete er dessen aufgesprungene Lippe und die Platzwunde an seiner Stirn. Dann schaute er ihm direkt in die Augen. » Wie geht es dir?«
    » Gut so weit«, antwortete Faris.
    » Haben sie dich auf eine Gehirnerschütterung hin untersucht?«
    » Ja«, log Faris und spürte Pauls missbilligenden Blick.
    In diesem Moment betraten zwei weitere Personen den Raum. Eine davon war eine Frau, die kräftig, kompakt und extrem energiegeladen wirkte. Ihre blonden Haare waren raspelkurz geschnitten, und ihr Gesicht war mit Sommersprossen übersät. Ihre langen Beine steckten in einer engen Jeans, über der sie nichts weiter trug als zwei farblich aufeinander abgestimmte Tops. Ihre Arme waren muskulös wie die eines Mannes. Ihr Name war Shannon Starck.
    » Alles gut, Faris?« Shannon hatte einen amerikanischen Akzent, denn sie hatte bis vor Kurzem noch in den USA gelebt und dort Organisationssoziologie und Psychologie studiert. Ihre Doktorarbeit hatte sie über radikal-evangelikale Sekten geschrieben. Tromsdorff hatte sie in Seattle auf einem Kongress kennengelernt. Als er erfahren hatte, dass sie die doppelte Staatsbürgerschaft besaß, weil ihr Vater Deutscher gewesen war, hatte er sie überredet, ihr Wissen dem LKA zur Verfügung zu stellen. In ihrem Team war sie die Spezialistin für christlichen Fundamentalismus.
    Faris lächelte ihr zu. » Danke, Shannon.«
    » Shit«, entfuhr es ihr. » Als sie uns eben gesagt haben, dass du in die Detonation in der U-Bahn geraten bist, habe ich gedacht, die wollen uns verarschen.« Sie ging zu ihrem Schreibtisch, der mit allem möglichen Krimskrams beladen war, griff sich einen Tennisball und begann, ihn in einer Hand zu kneten, während sie sich lässig zurücklehnte und zusah, wie der zweite Neuankömmling Faris begrüßte.
    Ben Schneider war ein leicht übergewichtiger, völlig farbloser Kerl. Von den sandfarbenen Hosen über das ausgewaschene Sweatshirt bis hin zu seinen seltsam gelblichen Haaren wirkte alles an ihm verblichen– mit einer einzigen Ausnahme: Seine Augen strahlten in einem hellen, unglaublichen Blau. Lapislazuli-Augen, dachte Faris wie jedes Mal, wenn er Ben gegenüberstand. Pharaonenaugen.
    » Du bist echt ein Held, weißt du das?« Bens Tonfall war ehrfürchtig und spöttisch zugleich. Er fungierte als eine Art Verbindungsmann zwischen den Spezialisten des KTI und der SERV , und Faris kannte keinen anderen Menschen, der so schwer zu durchschauen war wie der Kriminaltechniker. Bei ihm versagten regelmäßig Faris’ sämtliche erlernten Profiling-Tricks.
    Ben gab Faris keine Gelegenheit, etwas zu antworten, sondern begann ohne weitere Umschweife damit, den mitgebrachten Laptop an einen Beamer anzuschließen. Faris wunderte sich nicht darüber, denn der Techniker war dafür bekannt, fast schon autistische Züge an den Tag zu legen, wenn er über einem Fall brütete. Vermutlich war das auch der Grund für sein sphinxhaftes Wesen, dachte Faris oft.
    » Also, hier die Fakten.« Tromsdorff lehnte sich gegen den sogenannten Falltisch– einen langen, schlichten Tisch aus Metall, der quer im Raum stand und zusammen mit zwei über Eck gestellten Weißwandtafeln ihre Operationsbasis bildete. Hier besprachen sie – und hier lösten sie auch– die meisten ihrer Fälle. » Wie ihr alle wisst, hat sich heute Morgen in der U-Bahn-Station Bismarckstraße

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