40 Stunden
ein Bombenanschlag ereignet, bei dem nach derzeitigen Erkenntnissen mindestens siebenundzwanzig Menschen ums Leben kamen, darunter auch einige Kinder. Die Abteilung Staatsschutz ermittelt bereits in Richtung Terroranschlag. Aber wir haben Grund zu der Annahme, dass wir es mit einer religiös motivierten Tat zu tun haben, die in unser Ressort fällt.« Er sah Faris an. » Für die, die sich wundern, warum Faris hier und nicht in der Klinik ist, wo er meines Erachtens hingehört… Faris, am besten erzählst du das selbst.«
Faris blickte in die gespannten Gesichter seiner Kollegen. Er holte tief Luft, dann entschied er sich, für seinen Vortrag aufzustehen. Er stemmte sich in die Höhe, ignorierte den leichten Schwindel, der ihn dabei erfasste, und begann zu sprechen: » Wie man mir unschwer ansehen kann, war ich unmittelbarer Zeuge der Vorgänge im U-Bahnhof. Der Grund dafür ist ein Anruf, den ich heute Morgen erhielt.« Er zog sein Smartphone aus der Tasche, hielt es hoch und berichtete zum wiederholten Male, wie der Anrufer ihn in die Bismarckstraße beordert hatte. Während er sprach, kam auch Gitta aus ihrem Glaskasten und hörte ihm zu.
Ben war zwischenzeitlich mit seinen technischen Spielereien fertig. Sein Laptop stand aufgeklappt auf dem Falltisch, der Beamer lief und warf ein leeres weißes Rechteck an die Wand.
Faris reichte ihm das Telefon. Der Techniker verband es mit seinem Computer, während Faris von dem Film erzählte, den der unbekannte Anrufer ihm hatte zukommen lassen.
Mit einer Fernbedienung ließ Ben eine Leinwand von der Decke herunter. Dann beugte er sich vor, tippte auf der Tastatur des Laptops herum. Auf der Leinwand erschienen die Desktopoberfläche des Computers und gleich darauf ein schwarzes Fenster. Ohne den Blick davon zu lösen, tastete Faris nach seinem Stuhl und setzte sich wieder. Die längst vertrauten Geräusche des Videos erklangen, das schwere Atmen und das unterdrückte Stöhnen. Die verschwommenen Farben erschienen, und schließlich wurde das Bild scharf.
Faris, der den Inhalt inzwischen zur Genüge kannte, konzentrierte sich auf die Gesichter der Kollegen, die es zum ersten Mal sahen. Tromsdorff zuckte zusammen, als der Hammer niedersauste. Marc wurde blass. Gittas Augen weiteten sich, ihre Armreifen klimperten leise, als sie die Hände vor den Mund schlug. Shannon verfolgte aufmerksam jede Bewegung auf der Leinwand, und hinter ihrer Stirn formten sich bereits sichtbar die ersten Gedanken.
Der Film lief weiter. Das dumpfe Stöhnen des Gekreuzigten, die Wucht der Hammerschläge, das Rasseln der Kette und auch der gequälte Aufschrei des Opfers, als das Kreuz aufgerichtet wurde– all das hallte in dem entsetzten Schweigen der Anwesenden wider.
Schließlich endete das Video. Einen Moment lang saßen alle wie versteinert da.
» Tja«, sagte Faris in die drückende Stille hinein und löste damit die Erstarrung der anderen.
» Okay«, stöhnte Tromsdorff. » Das ist definitiv eine Sache für die SERV . Können wir davon ausgehen, dass das keine Special Effects sind?«
Ben schürzte die Lippen. Er ließ das Video ein paarmal vor- und zurücklaufen. » Ich muss das natürlich genauer analysieren, doch fürs Erste würde ich behaupten, es sieht verdammt echt aus.«
Tromsdorff nickte, als sei seine eigene Meinung bestätigt worden. Sein hochgewachsener Körper wirkte wie eine Feder unter Spannung. Er hatte die Ärmel seines Sakkos hochgeschoben, und Faris konnte die Sehnen an seinen Armen erkennen.
» Aber was hat das Video mit der Explosion zu tun?«, fragte Gitta.
» Die Explosion in der U-Bahn war der Auftakt«, erklärte Faris. » Der Anrufer behauptet, er habe den Mann am Kreuz mit einer weiteren Bombe verkabelt. Hört das Herz des Gekreuzigten auf zu schlagen, dann explodiert sie.«
» O Gott!«, stieß Gitta hervor. Sie lehnte sich gegen den Türrahmen ihres Terrariums und sah weiß aus wie eine Wand.
Tromsdorff warf ihr einen besorgten Blick zu. » Haben wir Anhaltspunkte, wo sich diese zweite Bombe befindet?«
Faris schüttelte den Kopf. » Ich bin nicht sicher. Eventuell ergibt sich etwas aus dem, was er gesagt hat, aber ich habe es noch nicht im Detail rekonstruiert. Er hat das Kirchentagsmotto zitiert.«
» Das Wort Gottes mit Freimut reden«, warf Gitta ein.
Ben und Paul nickten. Marc hatte sich auf einen Besucherstuhl fallen lassen und wirkte abwesend. Faris kannte ihn zwar erst recht kurz, aber er vermutete, dass der junge Analytiker bereits dabei
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