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40 Stunden

40 Stunden

Titel: 40 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Anfechtungen des Teufels zu entkommen?«
    Vierzig Tage! Das kommt Alexander sehr lang vor, und er fragt sich, seit wann sein Vater nun schon nichts mehr isst. Er weiß es nicht.
    » Der Teufel ist allgegenwärtig«, sagt Vater. » Er versucht uns zu verderben, an jedem Tag, in jeder Sekunde.«
    Alexander überlegt. » Ich weiß nicht«, murmelt er.
    Da packt ihn sein Vater, starrt ihm mit wildem Blick in die Augen. » Hast du in der letzten Zeit böse Gedanken gehegt? Vielleicht über mich oder über einen deiner Freunde?«
    Alexander zögert.
    » Hast du beim Beten nicht aus vollem Herzen zu Gott gesprochen?« Vaters Stimme wird jetzt eindringlicher. Seine Augäpfel zucken in den Höhlen hin und her.
    Alexander fühlt sich wie gebannt. Er schluckt.
    » Hast du unkeusche Träume gehabt? Hast du jemandem sein Hab und Gut geneidet?« Immer schneller schießen die Fragen aus Vaters Mund, wie Gewehrkugeln, die in Alexanders Verstand einschlagen und ihn zertrümmern.
    » Hast du geflucht? Deine Mutter beschimpft? Hast du …« Vater schüttelt ihn. Sein Atem geht schwer, und weiter und weiter prasseln die Fragen auf Alexander ein.
    Hast du …
    Hast du …
    » Ja!«, schreit Alexander endlich. » Ja! Ja!« Tränen rollen unter seinen Lidern hervor und über seine Wangen. Ein tiefes, verzweifeltes Schluchzen bahnt sich den Weg in seiner Brust nach oben. Vater lässt ihn los, aber das Schluchzen hat jetzt seine Kehle erreicht, und es schüttelt ihn nun genau so, wie noch eben zuvor sein Vater es getan hat.
    » Ja!«, flüstert er und lässt die Schultern hängen. » All das habe ich getan.« Er fühlt sich elend, so voller Schmutz und Unrat, dass er sich vor sich selbst ekelt. Ein heftiges Zucken ergreift Besitz von seinem Körper, und er kann es nicht kontrollieren. Bestimmt ist es der Teufel, der ihn in seinen Klauen hält!
    » Du musst nicht weinen.« Plötzlich ist Vaters Stimme ganz sanft.
    Erstaunt schaut Alexander ihm ins Gesicht. Ein Lächeln liegt in Vaters Zügen, etwas Entrücktes strahlt von ihm aus.
    » Gott verzeiht dir, wenn du deine Sünden ehrlich und aufrichtig bereust.«
    » Wie kann ich das?«, flüstert Alexander. Ja, er hat seine Mutter angeschrien, aber ist das nicht gerecht gewesen? Und ja, er hat heimlich unter der Bettdecke unzüchtige Zeitschriften gelesen und sich dabei selbst angefasst. Aber wie kann er etwas bereuen, das sich so gut angefühlt hat?
    Er versucht es, doch es gelingt ihm nicht. » Ich bin ein schlechter Mensch«, wispert er verzweifelt. Seine Augen brennen.
    » Das bist du nicht!« Jetzt packt Vater ihn wieder, zwingt ihn aufzuschauen. » Du musst es mir nur gleichtun.«
    » Was soll ich tun? Fasten, wie du?«
    Aber Vater antwortet ihm nicht. Stattdessen beginnt er zu rezitieren: » Und alsbald trieb ihn der Geist in die Wüste, und er war in der Wüste vierzig Tage und wurde versucht vom Satan und war bei den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm. « Vater holt Luft und fährt dann mit monotoner Stimme fort …
    Mit schmerzenden Augen starrte Alexander in das grelle Licht.
    Der Engel des Herrn darin stand ganz ruhig da. UND ER WURDE VERSUCHT VOM SATAN , wiederholte er mit leiser Stimme. Dann stieß er ein Lachen aus, bei dem Alexander die Haare zu Berge standen.
    » Habe ich etwas Falsches gesagt?«, erkundigte er sich ängstlich.
    DU ?, fragte der Engel. NEIN ! WIE KOMMST DU DARAUF ?
    Alexander antwortete nicht. Er fühlte sich klein, unbedeutend und dumm in der Gegenwart dieses grellen, blendenden Lichtes. Genau wie er sich stets in Vaters Gegenwart dumm gefühlt hatte. Dumm und unwissend. Erfüllt von Begierde nach Führung.
    » Sag mir, was ich tun soll«, bat er.
    Der Engel lachte erneut. Diesmal klang es traurig. Waren die Engel des Herrn nicht voller Trauer? Alexander versuchte sich an die alten Geschichten zu erinnern, die seine Oma erzählt hatte, aber es gelang ihm nicht. Er war verwirrt. Sein Herz jagte.
    ERZÄHL WEITER , befahl der Engel endlich. DU HAST BEGONNEN ZU FASTEN . UND DANN ?
    Und Alexander erinnerte sich …
    Seine Mutter bemerkt es nicht sofort, denn er ist vorsichtig. Zunächst isst er einfach ein bisschen weniger, lässt das Fleisch liegen, schließlich auch die Kartoffeln. Doch irgendwann muss es auffallen. Besorgt mustert Mutter ihn eines Abends beim Essen.
    » Bist du krank?«, fragt sie, doch sie wirft Vater dabei finstere Blicke zu. Sie ahnt längst, was vor sich geht.
    Alexander schüttelt zögernd den Kopf. Lügen ist eine Sünde, das hat Vater

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