40 Stunden
das Abendmahl zu spenden, und in den letzten Jahrzehnten der protestantischen Glaubensgemeinschaft sogar abgesprochen hatte, Kirche zu sein, hatte es in den vergangenen Monaten eine Kehrtwende gegeben. Grund dafür war der plötzliche Tod des Papstes gewesen, der mit einem Flugzeug über dem Atlantik abgestürzt war. Sein Nachfolger, ein mit knapp sechzig Jahren für dieses Amt noch recht junger Mann aus der Ukraine, hatte gleich nach seiner Wahl einen Kurs der Annäherung eingeschlagen. Und an deren Ende stand, vorerst zumindest, das Abendmahl morgen Nacht.
» Was für eine verdammte Scheiße!«, fluchte jetzt Ben. Es gab niemanden im Raum, der ihm widersprochen hätte.
Paul, der immer noch am Whiteboard stand, trat einen Schritt zur Seite und machte eine erste Liste auf.
Motiv?, schrieb er darüber, dann sah er sich im Raum um.
» Das Abendmahl verhindern«, mutmaßte Gitta. Es war das Erste, was ihnen allen durch den Kopf schoss.
Paul notierte es. » Das würde bedeuten, dass unser Täter ein militanter Christ ist«, murmelte er gleichzeitig.
» Ähm…«, wollte Ben sich zu Wort melden, doch Faris war schneller.
» Aber würden christliche Fundamentalisten das Ganze so inszenieren?« Er wies auf das Standbild des Gekreuzigten. » Ich meine, das sieht in meinen Augen eher wie eine Verhöhnung des christlichen Glaubens aus, oder?«
Ben lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
Shannon schüttelte den Kopf. Nachdem sie ihren Vortrag über die körperlichen Auswirkungen der Kreuzigung beendet hatte, war sie zu ihrem Platz zurückgekehrt und knetete nun wieder ihren Tennisball. » In Indonesien gibt es Fanatiker, die sich jedes Jahr an Ostern ans Kreuz schlagen lassen– als spirituelles Erlebnis. Du denkst von deinem muslimischen Standpunkt aus, Faris. Für einen Christen ist die Darstellung einer Kreuzigung keine Blasphemie, anders als für Muslime zum Beispiel die Verhöhnung des Propheten.« Sie beugte sich über ihren Schreibtisch und machte sich eine Notiz auf einem Block, den sie vor sich liegen hatte. » Ich überprüfe einmal, ob es aktuell Gruppierungen gibt, die mit der Kreuzigungsthematik liebäugeln. Vielleicht ergibt sich ja eine Verbindung zu den Abendmahlsgegnern.«
Mit dem Filzstift deutete Paul auf Shannon. » Wir sollten auch Theatergruppen ins Auge fassen. Passionsspielgruppen oder so.«
» Gut.« Tromsdorff wirkte zufrieden. » Weiter?«
Ben öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber genau in diesem Moment entdeckte er etwas auf seinem Laptop. Er beugte sich vor und betrachtete es eingehender. Tromsdorff wartete, ob er sich an ihrem Gespräch beteiligen wollte, aber der Techniker konzentrierte sich nun nur noch auf seinen Computer.
Paul starrte auf das Standbild des Gekreuzigten an der Wand. » Warum diese komplizierte Inszenierung?«, fragte er in die Runde.
Die anderen sahen ihn an.
Er kratzte sich am Hals. » Ich meine: Eine einfache Zeitschaltuhr würde genügen, um seine Ziele zu verfolgen. Ein simpler Countdown. Warum die Kreuzigung? Warum vierzig Stunden?« Der Reihe nach blickte er den Anwesenden in die Augen, aber keiner konnte ihm seine Fragen beantworten.
» Scheiße«, murmelte Ben auf einmal.
Faris musterte ihn neugierig, aber in diesem Moment öffnete sich die Tür, und Marvin Andersen kam herein. » Guten Tag, Herrschaften«, grüßte er.
» Wir sind gerade dabei, ein erstes Profil von dem Anrufer zu erstellen«, informierte Tromsdorff ihn. » Und so viel können wir schon sagen: Wir vermuten, dass er einen Anschlag auf den Papstgottesdienst morgen Nacht plant.« In knappen Worten setzte er Andersen über ihre bisherigen Überlegungen in Kenntnis.
Andersen hörte aufmerksam zu, nahm dann sein Handy hervor, wählte und sagte knapp: » Kevin, das Olympiastadion. Erhöh die Priorität da auf eins.« Dann legte er wieder auf und gab Paul einen Wink. » Machen Sie weiter!«, forderte er ihn auf.
Paul wartete höflich einige Sekunden, ob sich Andersen hinsetzen wollte, doch als dieser keine Anstalten dazu machte, wiederholte er die Frage, die er kurz zuvor gestellt hatte. » Warum diese komplizierte Inszenierung?«
Tromsdorff war der Erste, der eine These formulierte. » Er scheint eine Rechnung offen zu haben.«
» Möglich.« Faris nickte. Ihm war die gleiche Idee gekommen. » Die Kreuzigung ist ein Signal. Er will uns etwas mitteilen.« Er rief sich die Worte zurück ins Gedächtnis, die der Anrufer ihm nach der Explosion der
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