40 Stunden
Weg, auf dem er es vorhin gemeinsam mit Hesse betreten hatte. Das erdrückende Gefühl von Endzeitstimmung, das ihn beim Durchqueren der riesigen Abfertigungshalle erneut überkam, schob er von sich. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte ihm, dass sie noch dreiunddreißig Stunden hatten.
Diesmal verzichtete er darauf, den Helm aufzusetzen.
13. Kapitel
Jenny und Pia verabredeten sich für sechzehn Uhr mit Dennis vor der Jugendherberge. Nachdem die beiden Mädchen ihr Mittagessen beendet hatten, wollte Pia shoppen gehen, und da Jenny nicht wusste, was sie allein machen sollte, bis es Zeit für ihr Treffen war, beschloss sie, aufs Zimmer zu gehen und ein bisschen zu lesen. Sie hatte den neuesten Schmöker ihres Lieblingsautors dabei.
Sie kam allerdings nicht bis zu ihrem Zimmer, denn auf der Treppe nach oben begegnete sie Dennis.
» Hey«, murmelte sie. Er stand zwei Stufen über ihr, und so musste sie zu ihm aufblicken. » Man könnte ja denken, du lauerst mir auf!« Sie war ein wenig stolz darauf, dass ihr das eingefallen war.
Er grinste. » Tue ich ja vielleicht auch.«
Ihr Herz machte einen Satz. Meinte er das etwa ernst? Sie forschte in seinem Gesicht nach Anzeichen dafür, dass er sie foppte, aber sie fand keine. Ganz offen und freundlich sah er sie an.
» Was hast du jetzt vor?«, fragte er.
Sie zuckte die Achseln. » Eigentlich wollte ich ein bisschen lesen.«
» Lesen.« Er sagte das, als sei es etwas unglaublich Unanständiges.
Jenny spürte, wie ihr Gesicht schon wieder heiß wurde. » Warum nicht?«
Er kam eine Stufe nach unten, und unwillkürlich wich Jenny ihm aus.
» Ich tue dir nichts«, versprach er und trat wieder eine Stufe zurück. » Ich dachte mir nur, dass es bis zu unserer Stadtrundfahrt noch ein bisschen Zeit ist. Vielleicht hast du ja Lust, ein Eis essen zu gehen.«
Wieder machte Jennys Herz einen Sprung. Das war jetzt einfach nicht wahr!, schoss es ihr durch den Kopf, und sie unterdrückte den Impuls, sich über beide Schultern umzusehen. Wo war hier die versteckte Kamera? Bestimmt erlaubte sich irgendjemand einen bösen Scherz mit ihr!
» Du bist ziemlich nervös, oder?«, fragte Dennis mit leicht spöttischem Unterton.
Sie schüttelte den Kopf. » Eigentlich nicht.« Sie biss sich auf die Zunge, weil das viel schroffer klang, als sie geplant hatte. » Eis essen wäre schön«, schob sie rasch nach.
Dennis grinste. » Also los! Ich kenne eine nette Eisdiele ganz in der Nähe.« Er machte Anstalten, sich bei Jenny unterzuhaken, besann sich dann aber eines Besseren und ließ es bleiben. Dicht neben ihr ging er die Treppe hinunter.
Ein paar Mädchen, die mit ihren hochtoupierten, rabenschwarz gefärbten Haaren offensichtlich zu den Rockfestivalbesuchern gehörten, starrten Jenny ungläubig an. Und in diesem Moment erst begriff sie, dass sie tatsächlich dabei war, mit diesem coolen Typen Eis essen zu gehen. Ein breites Lächeln drohte sich auf ihr Gesicht zu stehlen. Schnell presste sie die Lippen aufeinander. Auf keinen Fall wollte sie aussehen wie die Katze, die am Sahnetopf genascht hatte!
» Du kennst dich offenbar hier in Berlin recht gut aus«, sagte sie, um ein Gespräch in Gang zu bringen.
Er lachte. » Kein Wunder. Ich wohne ja hier!«
Von der Seite sah Jenny ihn an. » Du wohnst in Berlin? Warum hast du dich dann hier in der Jugendherberge einquartiert?«
Sie hatten die Ausgangstür erreicht, und Dennis öffnete sie für Jenny. Nachdem sie beide hindurchgetreten waren und der Lärm der Großstadt sie einhüllte, beantwortete er ihre Frage. » Ich hatte ein bisschen Stress mit meinem großen Bruder, bei dem ich zurzeit wohne.« Er betonte das auf eigenartige Weise, so, als könne er seinen Bruder nicht besonders gut leiden.
» Deinem großen Bruder?«, hakte sie nach.
» Hm.« Dennis schlug den Weg nach rechts ein. » Rainer. Ist ein ziemliches Arschloch!« Er machte nicht den Eindruck, als würde er gern darüber sprechen, also beschloss Jenny, das Thema zu wechseln.
» Ich weiß noch gar nicht, wie du mit ganzem Namen heißt«, sagte sie.
» Golzer«, antwortete er. Sie hatten jetzt eine kleine Eisdiele erreicht, die im Stil der Fünfzigerjahre eingerichtet war. Auch hier hielt Dennis ihr wieder die Tür auf und ließ sie zuerst eintreten. » Dennis Golzer.«
***
Ungefähr dreißig Minuten später stieg Faris in Lichtenberg vor einem alten, mit Rauputz versehenen Gebäude von Hesses Motorrad. Mit einer Mischung aus Wut und Beklommenheit starrte er auf die
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