40 Stunden
seiner wuchtigen Backsteinfassade und dem massigen Turm in Faris’ Augen fast ein wenig einschüchternd aussah. Das Pfarrhaus in der Seitenstraße wirkte ähnlich– düster, staubig. Und kühl.
Ira Jenssen erwartete sie schon. Sie war eine hochgewachsene, etwas herb wirkende Frau, die sich in eine Strickjacke gehüllt hatte und diese vor dem Bauch zusammenhielt, als sei ihr kalt. Als Gitta Faris am Telefon erzählt hatte, dass ihre Zeugin eine Pfarrerin war, hatte er sich eine dickliche Frau mittleren Alters vorgestellt, die dunkle Röcke trug und ihn durch ihre Brillengläser durchdringend musterte. Doch Ira Jenssen entsprach in keiner Weise dieser Vorstellung. Sie war jung, um die dreißig. Sie trug keinen Rock, sondern Jeans. Und sie war auch nicht dick, sondern eher ein wenig zu dünn. Ihre Schlüsselbeine stachen unter dem Kragen der Strickjacke hervor, und auch ihre Handgelenke wirkten schmal. Sie hatte halblange blonde Haare und blaue Augen, die zwar nicht so strahlend aussahen wie die von Ben Schneider, auf Faris aber trotzdem eine eigenartig suggestive Wirkung ausübten.
Nachdem Faris und Paul sich ausgewiesen hatten, führte Frau Jenssen sie in ein Büro mit altmodischen Möbeln und einem Tisch, der vollgestellt war mit Bastelarbeiten von Kindern. Eine Frau, die schon eher Faris’ Vorstellung von einer Pfarrerin entsprach, saß an einem altertümlichen Computer und tippte auf der Tastatur herum. Ira Jenssen stellte sie als Veronika Herzog, die Gemeindesekretärin, vor, dann führte sie Faris und Paul in ein Arbeitszimmer, in dem sich neben einem ausladenden Schreibtisch eine kleine Sitzecke mit einem einzigen Sessel und einem gemütlich aussehenden Sofa befand. An der Wand über dem Schreibtisch hing ein Bettlaken, auf dem Kinder ihre Hände und Füße mit Abtönfarbe verewigt hatten. Bei dem Anblick musste Faris an Laura und ihre Tochter denken, und Zorn überkam ihn. Was, wenn der Attentäter sie aufs Korn nahm? Er unterdrückte den Impuls, Laura erneut anzurufen.
Ira Jenssen bot ihnen in der Sitzecke Platz an und rollte sich selbst den Schreibtischstuhl heran.
Paul entschied sich für das Sofa. Tief sank er in die weichen Polster ein. » Sie haben uns angerufen, weil Sie den Mann auf dem Foto zu erkennen glauben?«, kam er sofort zur Sache.
Ira Jenssen beugte sich zur Seite und zog ein Blatt Papier von ihrem Schreibtisch. Vorsichtig legte sie es in die Mitte des Couchtisches. Es war ein Ausdruck des Standbildes, das Dr. Geiger an die Presse gegeben hatte. » Ich glaube es nicht nur, ich bin sicher: Ich kenne ihn. Sein Name ist Werner Ellwanger. Er ist ein Mitglied unserer Kirchengemeinde. Auf der Website, auf der wir dieses Bild gefunden haben, stand, dass er Opfer eines Verbrechens wurde. Was ist passiert?« Sie zögerte, dann schob sie nach: » Ist er tot?« Mit den Fingerspitzen strich sie über die Stellen von Werner Ellwangers Gesicht, an denen Ben das Blut wegretuschiert hatte.
Faris räusperte sich. » Nein, er ist nicht tot, aber wir fürchten, dass er es bald sein könnte. Er wurde entführt, und offenbar will ihn sein Entführer in…«, er sah auf seine Armbanduhr und überschlug die Zeit im Kopf, » in ungefähr achtundzwanzig Stunden umbringen.«
Zwischen Iras Augenbrauen erschien eine steile Falte. » Und das wissen Sie so genau?«
» Es gab eine Drohung, ja.« Paul beugte sich vor, was in dem tiefen Sofa mühsam aussah. » Was können Sie uns über Werner Ellwanger sagen? Uns hilft alles, was mit ihm und dem Kirchentag zusammenhängen könnte.«
» Dem Kirchentag?« Ira nahm den Ausdruck und betrachtete ihn nachdenklich. Ihre Knöchel waren aufgeschürft und die Fingernägel sehr kurz geschnitten. » Dann haben Ihre Nachforschungen etwas mit den beiden Bombenexplosionen zu tun?«
» Wie kommen Sie darauf?«, fragte Paul. Er wirkte völlig entspannt, aber Faris kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass er jede Regung der Pfarrerin genauestens registrierte.
Ira zuckte die Achseln. » Im Fernsehen sagen sie, dass die Bombenanschläge dem Kirchentag gelten.«
Paul zögerte. Fragend blickte er Faris an, und als dieser nickte, entschied er sich für Ehrlichkeit. » Ja«, gestand er. » Wir vermuten, dass das Verschwinden von Herrn Ellwanger mit den Explosionen zu tun hat.«
» Eine Entführung«, murmelte Ira. » Und Bomben. Ungefähr achtundzwanzig Stunden, haben Sie gesagt?« Sie rechnete nach. » Da findet der Abendmahlsgottesdienst mit dem Papst statt. Sie glauben, dass es
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