40 Stunden
stand am Rand eines Platzes, der mit einem Stück Rasen und einer Handvoll Bäumen bepflanzt war. Der Schatten des hoch aufragenden Kirchturmes fiel auf Ira, als sie zusammen mit ihrer Sekretärin um die Straßenecke in eine Seitengasse bog und auf das Pfarrhaus zusteuerte.
Sie folgte Veronika in das Haus, den kurzen, immer etwas muffig riechenden Flur entlang bis zum Gemeindebüro. Hier stank es nach Leim und Gips, denn die Kindergottesdienstgruppe war heute Vormittag zum Basteln hier gewesen. Der lange Esstisch, der eigens zu diesem Zweck an der Längswand aufgestellt worden war, war mit Figuren aus Pappmaché und Fingerfarben bedeckt.
» Sehen Sie sich das mal an!« Veronika wies auf den Monitor ihres Computers.
Ira riss den Blick von einem kleinen blauen Papiermonster los, das aussah wie eine Mischung aus einem Elefanten und dem Clownsfisch Nemo. Veronika hatte den Internetbrowser gestartet und eine Seite namens hotnewzz.tv aufgerufen. Das aufdringliche Flammenlogo schrie Ira förmlich entgegen und verlangte nach ihrer Aufmerksamkeit.
» Ich habe eben kurz vor dem Feierabendmachen nochmal die E-Mails durchgesehen«, erklärte Veronika. » Dabei habe ich das entdeckt.«
Wer kennt diesen Mann?, fragte eine Schlagzeile in großen Lettern.
Ira sah sich das Bild, das darunter prangte, genauer an. Irgendwie kam ihr der Mann darauf bekannt vor.
» Die Polizei bittet um Mithilfe bei der Identifizierung eines Verbrechensopfers«, las sie die Bildunterschrift. » Hinweise zur Identität dieses Mannes bitte an die Redaktion oder direkt an eine der folgenden Telefonnummern.« Dahinter waren mehrere zehnstellige Berliner Nummern angegeben.
» Erkennen Sie ihn denn nicht?«, rief Veronika.
Ira blinzelte. Dann fiel es ihr ein. » Natürlich!« Ein eisiger Schauer lief ihr über den Körper. Der Mann war ein Mitglied ihrer Gemeinde! Er kam regelmäßig in ihre Gottesdienste, aber da er sich darüber hinaus nicht am Gemeindeleben beteiligte, hatte Ira ihn nicht sofort erkannt. Aus diesem Grund konnte sie sich auch nicht auf Anhieb an seinen Namen erinnern.
» Das ist Werner Ellwanger«, sagte Veronika. » Er sitzt jeden Sonntag links in der Bank, direkt vor dem Kreuzigungsgemälde.«
Ira nickte. » Stimmt.«
Opfer eines Verbrechens.
Sie verspürte einen Anflug von Unbehagen, weil ihr das Böse plötzlich so nahe kam. Fröstelnd zog sie ihre Strickjacke enger um den Leib.
» Wir müssen das melden«, sagte Veronika aufgeregt. Sie griff nach dem Telefonhörer und wählte die angegebene Nummer, während Ira den Blick noch einmal auf das Foto heftete. Das Bild war offenbar irgendwie bearbeitet worden. Die Haut an den Wangen und dem Hals des Mannes wirkte zu gleichmäßig, um echt zu sein, und auch die Haare schienen nachträglich verändert worden zu sein.
Als in Veronikas Hörer das Freizeichen ertönte, streckte Ira die Hand aus. Die Sekretärin reichte ihr den Hörer, und Ira hob ihn ans Ohr.
» Landeskriminalamt«, meldete sich eine Frauenstimme. Ira nannte ihren Namen, und dabei fragte sie sich, was für Wunden die Computerspezialisten der Polizei bei dem Foto wohl wegretuschiert hatten.
19. Kapitel
Nachdem sie das Internetcafé verlassen hatten und auf dem Weg zu ihrem BMW waren, blieb Faris ruckartig stehen, weil ihm schwindelig wurde.
Paul interpretierte sein Anhalten falsch. » Was hast du? Ist dir was eingefallen?«
Faris schüttelte den Kopf. Keine gute Idee!Das Schwindelgefühl wurde so heftig, dass er Halt an einem Laternenpfahl suchen musste.
» Alles in Ordnung?« Nun klang Paul besorgt. » Der Sani hat gesagt, du könntest eine Gehirnerschütterung haben.«
Faris wartete einen Moment, bis die Welt aufhörte, sich zu drehen. » Geht schon wieder«, murmelte er durch zusammengebissene Zähne.
» Ich bringe dich ins Krankenhaus!« Paul wollte nach seinem Arm greifen, doch Faris wehrte ab.
» Dafür ist jetzt keine Zeit.« Er holte tief Luft.
Das Klingeln seines Handys hielt Paul davon ab, etwas zu erwidern. Er ging ran. » Gitta, was gibt’s?« Er hörte zu, was Gitta zu sagen hatte, und zuckte die Achseln, als Faris ihn fragend ansah. » Nein. Faris geht es nicht so gut. Ich sollte ihn besser ins… Wie? Wo wir sind?« Er sah sich um, und sein Blick fiel auf ein Straßenschild. » Ja, wir sind immer noch in der Knesebeckstraße. Wir waren gerade in dem Internetcafé.« Er nickte mehrfach. » Ja, hier kommen wir nicht weiter. Der Täter hat uns offenbar gelinkt. Der Laden hatte gestern Abend gar
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