40 Stunden
beobachtete, blickte sie auf und lächelte leicht. Sie hatte ein schiefes Lächeln, das nur auf einer Seite ihres Mundes ein Grübchen bildete.
» Da bin ich wieder«, sagte Gitta an seinem Ohr, und er zuckte zusammen.
Iras Lächeln wurde breiter, dann wandte sie sich erneut den Fotos zu. Die Haare rutschten ihr ins Gesicht, und mit einer unbewussten Geste schob sie sie hinter die Ohren zurück.
» Alexander Ellwanger wohnt offenbar noch bei seinem Vater«, sagte Gitta. » Jedenfalls ist er dort gemeldet.«
» Wie alt ist er?«
» Warte. Achtzehn.«
Achtzehn. Faris dachte an Iras Worte. Sie hatte erwähnt, dass Alexander noch immer jeden Sonntag mit seinem Vater in die Kirche kam. Seine eigene Jugendzeit kam ihm in den Sinn. Er selbst war weitaus jünger gewesen, als er sich geweigert hatte, mit seiner Familie in die Moschee zum Freitagsgebet zu gehen.
Ganz langsam formte sich ein Bild von Alexander in Faris’ Vorstellung.
» Gut«, meinte er. » Gib ihn zur Fahndung raus! Und informiere das Team über ihn. Wir bringen jemanden mit, der ihn kennt und uns mehr über ihn verraten kann.« Er schaute Ira an, als er das sagte.
Sie wies mit einer fragenden Geste auf sich selbst.
Faris nickte. Er bedankte sich bei Gitta, dann legte er auf.
Kommentarlos wandte Ira sich wieder den Fotos zu. » Hier.« Sie drehte das Album so, dass Faris und Paul es richtigherum betrachten konnten. » Das ist er.« Sie tippte auf einen jungen Mann mit schmalen Gesichtszügen und kinnlangen, aber akkurat geschnittenen schwarzen Haaren. Mit eigenartig ausdruckslosen Augen blinzelte er in die Kamera. Ira wartete, bis Paul und Faris ihn sich angesehen hatten, dann zeigte sie auf einen leicht gebeugt stehenden Mann, der um die fünfzig sein mochte. Er sah asketisch aus, so, als habe er nicht ein Gramm Fett am Leib. Faris erkannte ihn sofort: Es war Werner Ellwanger, der Mann am Kreuz.
Er wollte etwas sagen, aber das Zirpen seines Smartphones kam ihm zuvor. Inzwischen, so stellte er fest, verursachte ihm das Geräusch Magenschmerzen.
Er hörte Paul seufzen. » Also, auf ein Neues«, murmelte sein Partner.
Iras Gesichtsausdruck verriet gleichzeitig Erstaunen und Neugier.
Faris nahm den Anruf an.
» Wo bist du gerade?«, fragte der Anrufer.
Faris suchte Pauls Blick, bevor er antwortete. » Bei einer Zeugin.« Er zögerte, doch dann fügte er hinzu: » Alexander.«
Für einen kurzen Moment war es still am anderen Ende der Leitung. Dann pfiff der Anrufer anerkennend. » Du kommst voran, sehe ich. Aber du liegst falsch, fürchte ich. Ich bin nicht Alexander.«
Faris unterdrückte den Impuls zu fragen: Wer dann? Der Kerl hatte ihn jetzt oft genug herablassend behandelt, hatte ihn herumkommandiert, gedemütigt und beinahe in die Luft gejagt. Faris war es gründlich leid. Die Schmerzen in seinem Magen verwandelten sich in einen Klumpen aus grell loderndem Zorn. Er beschloss, einen Schuss ins Blaue zu wagen. » Warum das alles, Alex? Hat dir dein Papi ein paarmal zu oft den Hintern versohlt?«
Er spürte Pauls und auch Iras Blick auf sich ruhen. Während Ira schockiert zu sein schien, wirkte Paul nur beunruhigt. Er griff jedoch nicht ein, und das bestärkte Faris in seinem Tun. Grimmig wartete er auf eine Reaktion.
Diesmal dauerte die Stille eine kleine Ewigkeit.
Der Ausbruch kam völlig überraschend. Plötzlich schrie der Anrufer. » Ich. Bin. Nicht. Alexander!«
» Ach nein?« Faris nahm das Smartphone an das andere Ohr. » Du hast dich verquatscht, Alex. Als wir das letzte Mal telefoniert haben. Da hast du ›mein Vater‹ gesagt. Wir haben herausgefunden, wer der Mann am Kreuz ist, und jetzt wissen wir auch, wer du bist.« Er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Es war riskant, was er hier tat, das wusste er. Aber er war außer Stande, sich noch länger zu beherrschen. Alles, was er tun konnte, war zu hoffen, dass seine Intuition die Kontrolle über die Situation übernommen hatte. Seine Intuition und nicht diese elende Endzeitstimmung, die sich wieder in ihm auftat.
Mühsam rang der Anrufer um Atem. Dann wurde die verzerrte Stimme sehr kalt. » Du willst die Konfrontation? Die kannst du haben! Du sagst mir jetzt auf der Stelle, wo du bist!«
Faris griff sich mit den Fingerspitzen an die Nasenwurzel. » Nein.« Wie hatte Geiger ihn genannt? Eine tickende Zeitbombe. Er biss die Zähne zusammen.
Ira sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an. Er wandte ihr den Rücken zu. Er konnte ihre Blicke nicht ertragen.
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