40 Stunden
Behandlungsraum frei.« Am Türrahmen musste er sich abstützen.
Skeptisch sah die Schwester ihn an. » Sind Sie sicher, dass Sie nicht lieber noch eine Weile liegen bleiben wollen?«
Aber Faris wollte alles andere als das. Er wollte, nein, er musste hier raus! Raus aus diesem kühlen Gebäude, das erfüllt war vom Quietschen der Rollliegen und der Gesundheitsschuhe des medizinischen Personals. Erfüllt vom Piepsen irgendwelcher Geräte, deren Geräusche ihn nur an den Mann am Kreuz mit seinem Herzmonitor erinnerten. » Danke, es geht schon.« Er trat hinaus auf den Flur.
Eine blasse Mutter mit einem apathischen kleinen Kind auf dem Arm kam an ihm vorbei. Mechanisch nickte Faris ihr zu.
Dann wandte er sich an die Nonne, die noch immer dastand und unschlüssig wirkte, ob sie ihn gehen lassen sollte. » Ehrlich, mir fehlt nichts. Dr. Makame ist gerade dabei, sich meine Röntgenbilder anzusehen. Falls er mich sucht: Ich bin draußen. Ich muss kurz telefonieren.« Und mit diesen Worten ließ er die Schwester einfach stehen.
Die frische Nachtluft umfing ihn wie ein Tuch aus Seide, das sich auf sein Gesicht legte. Jetzt erst bemerkte er, dass ihm am gesamten Körper kalter Schweiß ausgebrochen war. In einer Fensterscheibe suchte er nach der Spiegelung seines Gesichtes, und da verstand er sofort, warum die Nonne ihn so skeptisch angesehen hatte. Das Pflaster an seiner Stirn war schmutzig, ein neuer blutiger Kratzer zog sich quer über seine Wange. Er sah bleich und mitgenommen aus. Die Haare standen ihm wirr vom Kopf ab, und die Schatten unter seinen Augen waren dunkelviolett. Doch all das war es nicht, was ihn mehr tot als lebendig aussehen ließ – es war der leere Ausdruck in seinen Augen.
Hinter der Eingangstür zur Notaufnahme erschien die Schwester mit den pinkfarbenen Schuhen und warf ihm einen prüfenden Blick zu. Sie erinnerte Faris an die alte Nonne mit den hellen Augen in der U-Bahn. Er spürte, dass er kaum noch Energie hatte, um weiterzumachen. Es war, als laufe er seit Längerem auf Reservebetrieb.
Durch das Krankenhaustor näherte sich ein Rettungswagen, der ohne Blaulicht und sehr langsam fuhr. Während in der Notaufnahme Hektik ausbrach, wurde Faris bewusst, dass die Erde sich weiterdrehte. Die Menschen in Berlin lebten ihr Leben. Sie bekamen Herzinfarkte und Babys. Sie lachten und sie stritten sich, und sie erwarteten, dass er und seine Kollegen sie vor Irren wie diesem unbekannten Bombenleger beschützten. Kurz wanderten Faris’ Gedanken zu Laura. Wut keimte in seinem Magen, und er schürte sie, bis sie wuchs und er sich an ihr festkrallen konnte. Er wusste, sie würde in den nächsten Stunden das Einzige sein, das ihm die Kraft geben würde weiterzumachen.
Kopfschüttelnd fischte er nach dem Handy, das er sich in der Kurfürstenstraße gekauft hatte. Einige Sekunden lang starrte er es an und versuchte, den Mut aufzubringen, Gitta anzurufen. Als er die Kraft dazu fand, hörte er sich ihren von leisen Schluchzern unterbrochenen Bericht der Lage an. Während sie redete, erreichte der langsam fahrende Rettungswagen den Eingang der Notaufnahme. Ein älterer Mann auf einer Trage wurde ausgeladen und von mehreren Ärzten begleitet ins Innere der Notaufnahme gerollt. Faris wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Gespräch zu.
» …habe Christa angerufen und sie informiert, was passiert ist«, sagte Gitta. Die automatischen Türen der Notaufnahme schlossen sich hinter dem alten Mann und seinen Rettern. » Sie muss auf dem Weg ins Krankenhaus sein.«
Christa. Pauls Frau.
Faris schloss die Augen. Diesmal sah er keine furchtbaren Bilder, sondern das schmale, ausdrucksvolle Gesicht von Christa Sievers. Wie sollte er ihr bloß gegenübertreten?
» Ich warte hier auf sie«, murmelte er und wusste, dass es ihn zu viel kosten würde. » Was macht ihr gerade?«
» Tromsdorff hat Marc sofort, nachdem der Notarzt dich mitgenommen hat, hierher zurückbeordert.« Marc war von der Explosion völlig unverletzt geblieben. » Er ist dabei, Bericht zu erstatten und uns das Innere der Laube zu beschreiben, und dann wird entschieden werden, wie es weitergeht. Ben sagt, es sei ungewöhnlich, dass eine Explosion so einen Feuerball verursacht. Vielleicht hilft uns das irgendwie weiter. Und dann sollten wir alle versuchen, wenigstens ein bisschen zu schlafen. Vor allem du.«
Faris ignorierte ihren letzten Satz. Der Feuerball hatte sämtliche Hinweise, die in der Laube vielleicht zu finden gewesen wären, in Asche
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