40 Stunden
dem kleinen Plastikschild, das er am Revers seiner blauen OP -Kleidung trug.
Faris nickte. » Vor ein paar Monaten war ich schon einmal Opfer einer Explosion. Daran musste ich gerade denken.«
Über das ebenholzfarbene Gesicht des Arztes glitt ein Ausdruck professionellen Mitgefühls. » Das ist wohl verständlich. Aber diesmal haben Sie Glück gehabt.«
Glück! Faris wusste nicht, ob er lachen oder schreien sollte. Am liebsten hätte er irgendjemandem ins Gesicht geschlagen, und er wusste nicht genau, ob dem Arzt oder doch lieber sich selbst.
Dr. Makame beendete seine Arbeit und trat einen Schritt zurück. » Außer der Verstauchung dieses Handgelenks scheint Ihnen nicht viel passiert zu sein. Wir warten aber zur Sicherheit noch auf die Röntgenaufnahmen, die wir gemacht haben.«
Faris räusperte sich. » Was ist mit meinem Partner?« Seine Stimme klang wie Pergament.
Nachdem die Explosion in sich zusammengefallen war, hatte er sich aufgerappelt und fassungslos die Ruine angestarrt, in die sich die kleine Gartenlaube verwandelt hatte. Er erinnerte sich noch daran, wie er zu seinem Partner gestürzt war, der inmitten der Trümmer gelegen hatte. Der Anblick von Pauls schwarz verkohltem Fleisch hatte sich in seine Netzhaut gefressen, wie mit Säure gemalt. Die folgenden Minuten waren aus Faris’ Gedächtnis gelöscht, das Nächste, an das er sich wieder erinnerte, waren die Sirenen von mehreren Notarztwagen, die mit knirschenden Reifen direkt vor dem Gartenzaun gehalten hatten. Kräftige Hände hatten ihn von Paul fortgezerrt, und während sich Sanitäter um seinen Partner gekümmert hatten, hatte Faris einfach nur dagestanden. Fassungslos. Betäubt. Irgendwann hatten die Sanitäter Paul schließlich in einen der Rettungswagen verfrachtet und mit Höchstgeschwindigkeit ins Krankenhaus gefahren. Danach hatte Faris das Smartphone aufgehoben, das ihm von der Explosion aus den Händen gerissen worden war. Minutenlang hatte er draufgestarrt, unfähig, etwas zu empfinden, unfähig sogar, zu blinzeln. Und dann, einem Impuls folgend, von dem er nicht wusste, ob er aus Trotz geboren worden war oder aus Feigheit, hatte er das Telefon einfach ausgeschaltet.
» Wie geht es meinem Partner?«, wiederholte er jetzt.
Dr. Makames Gesicht wurde ausdruckslos. » Er wird gerade operiert.« Bedauernd zuckte er die Achseln. » Man wird Ihnen sagen, wie es ihm geht, sobald man Genaueres weiß.« Er reichte Faris die Hand. » Ich wünsche Ihnen alles Gute! Danken Sie Ihrem Gott dafür, dass Sie überlebt haben!«
Der letzte Satz fühlte sich in der kühlen, klinischen Atmosphäre fehl am Platz an, aber obwohl Faris vor langer Zeit aufgehört hatte, an Allah zu glauben, taten ihm die Worte des Arztes erstaunlich wohl. Überrascht nickte er. Dann sah er zu, wie der Arzt aus dem kleinen Behandlungsraum ging und die Tür offen stehen ließ.
Eine Krankenschwester in schwarzer Nonnentracht und mit dazu völlig unpassenden Crocs in schreiendem Pink eilte draußen vorbei. Sie warf ihm einen kurzen abwesenden Blick zu.
Er blieb noch einen Augenblick lang auf der Pritsche sitzen und versuchte sich daran zu erinnern, wie man aufstand.
Pauls verbranntes Gesicht flammte bei jedem Blinzeln vor ihm auf. Er zwang sich, die Augen aufgerissen zu lassen, doch irgendwann schmerzten seine Augäpfel so sehr, dass er aufgab und die Lider senkte. Mit hängendem Kopf hielt er dem Ansturm der Bilder stand, die auf ihn eindrangen. Der rot lackierte Finger, der anklagend auf ihn wies. Die Feuerwalze, die wie in Zeitlupe auf ihn zurollte. Die entsetzte Miene des Mädchens in der U-Bahn, das Geräusch eines Defibrillators. Pauls verbranntes Fleisch. Immer wieder das. Verbranntes, stinkendes, kokelndes Fleisch.
Er schlug die Augen auf, warf den Kopf in den Nacken. Mit beiden Händen fuhr er sich in die Haare, zerrte daran, als könne er die Erinnerungen zusammen mit den Haarwurzeln aus seinem Schädel reißen.
Die Nonne mit den schrillen Schuhen ging erneut an seiner Tür vorbei. Diesmal blieb sie stehen und sagte etwas zu ihm.
Faris starrte sie an. Ihre Worte ergaben nicht den geringsten Sinn.
» Ob es Ihnen gut geht?«, wiederholte die Schwester und trat einen Schritt näher.
Da sprang Faris von der Pritsche. Kurz drohten die Knie unter ihm nachzugeben. Doch dann hatte er sich in der Gewalt. Seine Augen brannten noch immer. » Danke«, murmelte er heiser. » Es geht schon.« Er taumelte Richtung Tür. » Ich glaube, ich gehe dann mal und mache Ihren
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