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40 Stunden

40 Stunden

Titel: 40 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Schmerzen. Ist das ein Zeichen, dass Gott ihn wohlwollend betrachtet?
    Wie viele Stunden sind inzwischen wohl schon vergangen?
    Er weiß es nicht.
    Er hat Alexander verboten, ihn zu früh abzunehmen, und der Junge scheint sich daran zu halten. Gutes Kind!
    Das Piepsen, das er hört, ist in den Hintergrund getreten wegen dem langsam immer lauter werdenden Rauschen in seinen Ohren. Sein Herz pumpt angestrengt, das kann er spüren. Seine Finger sind ganz taub und kalt, dafür fühlen sich seine Beine heiß an und prickeln.
    Er schluckt. Sein Mund ist trocken, genau wie es in der Bibel gesagt ist.
    » Mich dürstet«, flüstert er, doch ihm wird kein in Essig getränkter Schwamm gereicht. Also fängt er an zu singen. Das Lied, das ihm seine Mutter beigebracht hat und das er auswendig kennt.
    Das Lied, das sie manchmal– viel zu selten– in der Kirche singen.
    » Oh Haupt voll Blut und Wunden …« Die Worte kommen nur undeutlich über seine Lippen, also verfällt er ins Summen. Er summt sechs Strophen, aber es ist die siebte, die ihm am besten gefällt.
    Sie singt er laut, und es ist ihm egal, dass die Zeilen eher wie ein Lallen klingen. Der Herr wird ihn verstehen.
    » Ach, möcht ich, o mein Leben
    an deinem Kreuze hier
    mein Leben von mir geben,
    wie wohl geschähe mir!«
    Jemand ist bei ihm. Er sieht nur verschwommen. Sein Kopf ist so schwer.
    Eine Hand berührt ihn an der Seite. Ist es der Herr, der endlich zu ihm gekommen ist? Er müht sich, klarer zu sehen, blinzelt mehrmals, und endlich sieht er die Gestalt, die vor ihm steht.
    » Wer bist du?«, haucht er.
    Er glaubt zu erkennen, wie die Gestalt den Kopf schüttelt, und heißes Entsetzen rinnt durch seinen Körper. Heißt der Herr es etwa doch nicht gut, was er ihm zu Ehren hier tut?
    » Was verlangst du von mir?«, versucht er zu fragen, doch diesmal ist es nicht einmal mehr ein Lallen, das er hervorbringt. Diesmal hören seine Worte sich an wie ein langgezogenes Stöhnen.
    Die Gestalt scheint ihn trotzdem zu verstehen. Atem streicht über seine Schulter und auch über sein Ohr, als sich die Gestalt dicht zu ihm beugt.
    » Du weißt, was ich von dir verlange«, sagt sie ganz ruhig.
    Es ist nicht Alexanders Stimme.
    Er will den Kopf heben, aber auch das geht jetzt nicht mehr.
    Ein Schluchzen steckt in seiner Kehle fest.
    » Wer bist du?«, winselt er.
    Doch er erhält keine Antwort. Die Gestalt ist fort. Er zwinkert heftig, irgendwie muss es ihm gelingen, den Schleier vor seinen Augen fortzubekommen. Er hört Schritte, die sich entfernen. Und auf einmal ist er allein.
    Mühsam zwingt er seinen Kopf hoch, legt ihn gegen das Holz hinter sich. Und schreit.
    ***
    Die Druckwelle der Explosion brandete über ihn hinweg, traf ihn mit voller Wucht und schleuderte ihn rückwärts. Dann kamen die Flammen. Sie hüllten ihn ein, fraßen sich in seine Haut. Brannten ihm das Fleisch von den Knochen, sodass der Schmerz durch jede Nervenfaser seines Körpers raste, bis sich sein Gehirn unter der Schädeldecke anfühlte, als finge es an zu kochen …
    » Herr Iskander?« Die Stimme drang wie durch Watte zu ihm hindurch, und mühsam nur riss Faris sich aus der Erinnerung. Blinzelnd starrte er in das dunkelhäutige Gesicht, das dicht vor ihm schwebte. Er brauchte eine Weile, bis er begriff, dass er nicht wieder im Klersch-Museum war. Diesmal hatte die Feuerwalze der Explosion ihn nicht erfasst wie damals, sondern sie hatte ihn nur von den Beinen und in ein Gebüsch geschleudert.
    Er befand sich in der Notaufnahme des St.-Josefs-Krankenhauses. Er saß auf einer schmalen Liege in einem der Behandlungsräume, seine Beine berührten den Boden nicht, was das Gefühl von Hilflosigkeit noch verstärkte, das sich in seiner Brust festgekrallt hatte.
    Diese Explosion hatte ihn nicht erwischt, und trotzdem kam es ihm so vor, als hätten die Flammen sein gesamtes Inneres kauterisiert.
    Paul!
    Faris stöhnte auf.
    Der afrikanischstämmige Notarzt, der gerade dabei war, sein rechtes Handgelenk zu verbinden, schaute ihn besorgt an. » Alles in Ordnung mit Ihnen?«
    Faris hob die linke Hand und rieb sich mit dem Daumen über die Stirn. » Ja«, murmelte er. » Nur ein kleiner Flashback.«
    Und die Tatsache, dass mein bester Freund und Partner mitten in dieser Hölle gesteckt hat …
    Er verspürte das Bedürfnis, sich zu krümmen.
    » Ein Flashback?« Der Arzt hatte eine tiefe, etwas singende Stimme, in der noch nachklang, dass er nicht in Deutschland geboren worden war. Dr. Makame stand auf

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