40 Stunden
einen Neonazi zusammengeschlagen habe.«
» Oh.« Der Laut schlüpfte ihr heraus, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Sie dachte an die Jugendgang von eben.
Faris’ Blick war unergründlich. Sie konnte den Ausdruck in seinen Augen kaum ertragen. » Er hatte mich als Bombenleger bezeichnet.«
» Ich verstehe.«
Er wandte sich von ihr ab und beobachtete die Ente, die unter ihrer Brücke hindurchschwamm. » Nein«, widersprach er sehr leise. » Das tun Sie nicht.«
» Vielleicht haben Sie recht.« Sie schwieg und suchte nach einem Anknüpfungspunkt für ihre nächsten Worte. » Was geschieht jetzt mit dem Attentäter, den Sie jagen?«
Er lachte. Es war ein gepresstes, zorniges Geräusch, aber eindeutig ein Lachen. Es hörte sich so falsch an, dass Ira schluckte. » Sie meinen, weil ich unfähig bin, weiter hinter ihm her zu sein?«, fragte er.
» Sie sind zu streng mit sich. Sie haben gerade Ihren Partner verloren. Ich glaube, niemand verlangt von Ihnen, sofort wieder voll da zu sein.«
Von der Seite her schaute er ihr ins Gesicht. Trotz aller Trauer wirkte sein Blick forschend. Sie unterdrückte das Unbehagen, das er in ihr verursachte. » Sämtliche Kollegen sind dem Kerl auf der Spur. Sie brauchen mich nicht.«
» Das glauben Sie nicht wirklich!« Ira musterte ihn intensiv, dann korrigierte sie sich. » Oder wenn Sie es glauben, dann wollen Sie es nicht wahrhaben.«
Ein Anflug von Überraschung erschien in seinen Augen. Himmel, sie ähnelten denen von Thomas wirklich sehr! » Sie sollten Polizistin werden«, sagte er. » Sie besitzen eine gute Beobachtungsgabe.«
» Ich bin Seelsorgerin.«
» Hm.« Faris starrte wieder auf das Wasser. Ein leichter Wind ging durch die Bäume, und Ira fröstelte.
» Warum glauben Sie, dass die Kollegen Sie plötzlich nicht mehr brauchen?«, hakte sie nach.
Erst befürchtete sie, dass er nicht antworten würde, aber schließlich seufzte er. » Er hat mich geortet, und dann hat er ganz bewusst die Bombe hochgejagt, die meinen Partner getötet hat. Danach habe ich einfach mein Handy ausgeschaltet. Er hat bisher immer angerufen, nachdem er etwas in die Luft gejagt hat. Wenn er das diesmal auch getan hat, muss er glauben, dass ich tot bin.« Er holte sein Smartphone aus der Tasche und hielt es ihr hin. Sie nahm es, wusste nicht, was sie damit anfangen sollte.
» Klicken Sie die Mail an, die ich heute Morgen erhalten habe.«
Zögernd tat sie, was er verlangte. Sie war sich im Klaren darüber, dass er sie dabei beobachtete, und fragte sich, was er im Moment wohl dachte.
Faris wusste nicht genau, warum er dieser aufdringlichen Pfarrerin das Kreuzigungsvideo zeigen wollte. Vielleicht wollte er sie einfach nur genügend schockieren, um sie endlich los zu sein. Aber irgendwo in seinem Innersten war er froh, dass sie da war. Zwar hatte er seine Waffe an Tromsdorff gegeben, aus Angst, sich in der bevorstehenden Nacht eine Kugel in den Kopf zu schießen, aber wer wusste schon, was noch kam?
Mit gemischten Gefühlen sah er zu, wie Ira den Videolink anklickte und sich dann den Film von der Kreuzigung anschaute. Als er zu Ende war, wirkte sie so blass und durchscheinend, dass er sich vorkam wie ein Mistkerl.
» Das hat der Bombenleger mir heute Morgen geschickt«, erklärte er und nahm das Smartphone wieder an sich. » Und seitdem jagt er mich von A nach B, und jedes Mal, wenn ich zu spät komme, geht irgendwo eine Bombe hoch.«
» Er treibt Spielchen mit Ihnen?«
Darauf antwortete Faris nicht.
» Aber seit der Explosion im Schrebergarten hat er sich nicht mehr gemeldet«, redete sie weiter. » Er kann sich also nicht sicher sein, dass Sie wirklich tot sind.«
Überrascht sah er sie an.
» Ihr Telefon würde es anzeigen, wenn er es getan hätte«, fügte sie hinzu.
» So.« Er steckte das Smartphone in die Tasche. Es fühlte sich an, als würde es ein Loch hineinbrennen, und er wusste nicht, was schlimmer war: die Tatsache, dass der Mistkerl jeden Moment wieder anrufen konnte, oder das Warten darauf, dass es geschah.
» Sie sagen selbst, dass sich Ihre Kollegen kümmern.« Vorsichtig legte Ira eine Hand auf seinen Unterarm, der regungslos auf dem Geländer lag. Sie schien verblüfft, als er ihn nicht wegzog, aber er hatte einfach nur das Gefühl, sich niemals im Leben wieder bewegen zu können. » Sie sollten versuchen, ein bisschen zu schlafen. Sie haben gesagt, der Anschlag wird morgen Abend auf den Papstgottesdienst stattfinden. Bis dahin sind noch ein paar Stunden
Weitere Kostenlose Bücher