41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
Sekunde lang, aber doch deutlich, gesehen hatte, war blanker Hass.
Louise
Louise beobachtete, wie Hendrik und Luc langsam an den Rand des Bildschirms gelangten und schließlich verschwanden. Sie atmete inzwischen wieder ruhiger, hatte sich mit ihrem verschmutzten Kleid abgefunden und versprach sich selbst am Ende dieses Tages einige entspannenden Stunden in ihrer Töpferkammer, um einen klaren Kopf zu bekommen. Aber bis es so weit war, musste sie noch ihren nächsten Gefährten empfangen. Sie blickte auf die linke obere Ecke des Bildschirms und sah ihn bereits, wie er sich von seinem Platz im Bistro erhob, ein paar Münzen für seinen Espresso auf den Tisch legte, sich umsah, den Gehsteig entlangging und kurz vor dem Tor in ihre Richtung schwenkte. Sie öffnete von innen, er schlüpfte durch die Tür, es gab keinen Augenblick der Verzögerung, sie waren ein eingespieltes Team.
Wortlos hakte sie sich bei ihm unter, sah zu ihm auf, lächelte. Er lächelte ebenfalls, strich ihr kurz über die Wange und sah sie fragend an:
„Was war das heute mit Luc?“
„Mach dir darüber keine Gedanken, er war nur etwas überdreht heute.“ Sie bemühte sich um einen ungezwungenen und leichten Tonfall.
„Es sah aber eher so aus, als wärst du wütend gewesen.“
„Manchmal ist er nervös, das macht dann auch mich ganz kribbelig. Aber jetzt bist nur du wichtig. Und wir sollten nicht unsere Zeit mit Luc verschwenden.“
Während sie die Steintreppe in den ersten Stock zu ihrer Wohnung emporstiegen, streichelte sie abwesend seinen Unterarm. Sie schloss die Tür auf, nahm seine Hand und führte ihn in das weitläufige Zimmer, das als erstes am Anfang des langen Flurs lag.
Er setzte sich auf das bequeme Ledersofa und nahm sich aus der Schale auf dem Glastisch ein Bonbon. Sie ging zu dem zierlichen Beistelltisch am Fenster, öffnete eine Karaffe und schenkte ihm daraus irischen Single Malt in ein Whiskeyglas. Sie reichte ihm das Glas, setzte sich neben ihn auf das Sofa und wartete. Er lockerte die Krawatte, öffnete die ersten beiden Knöpfe seines Hemdes und streifte seine Schuhe ab. Im linken Socken klaffte ein zerschlissenes Loch, durch das die große Zehe hervor lugte. Er sah es, blickte zu ihr, zuckte die Schultern und meinte lakonisch:
„Nun ja, ich hab eben Wichtigeres zu tun als Socken zu stopfen.“
„Vielleicht solltest du dir endlich eine Ehefrau besorgen. Oder zumindest ein neues Paar Socken.“ Sie grinste und wollte damit beginnen, seine Knöpfe weiter zu öffnen. Er griff nach ihrer Hand, hielt sie fest und sagte ruhig:
„Ich muss mit dir reden.“
Louise war nicht überrascht. So etwas kam häufig vor. Manchmal war es für ihre Freunde wichtiger, zu reden, zu erzählen, zu jammern, oft auch zu weinen als ihre sexuellen Gelüste befriedigen zu lassen. Für diese Sprechstunden bezahlten sie denselben Preis. Das war für Louise wichtiger als alles andere.
Sie hatte gelernt zuzuhören. Sie gab keine guten Ratschläge und versuchte nicht, die Probleme ihrer Männer zu lösen. Das war die Aufgabe von Ehefrauen, Vorgesetzten oder guten Freunden. Louise genoss diese Stunden. Sie wurde dafür bezahlt, nichts zu tun, musste danach keine Bettwäsche wechseln, nicht aufräumen, kein Badezimmer oder sich selbst reinigen, sich nicht die Haare richten und nicht für den nächsten Besucher frisch machen.
Also nickte sie verständnisvoll und zustimmend, stand auf, ging zu der in einen Mauervorsprung eingebauten schmalen Kochnische und bereitete sich einen kleinen koffeinfreien Kaffee zu. Dabei dachte sie, dass sie nun unerwartet zu einer Erholungsphase nach Luc gekommen war und dieser Gedanke stimmte sie heiter und zufrieden. Mit der Tasse in der Hand kehrte sie zu ihm auf das Sofa zurück, richtete noch Aschenbecher, Feuerzeug und seine Lieblingszigarillos bereit und sah ihn erwartungsvoll, aber innerlich gelassen und desinteressiert, an.
„Ich brauche deine Hilfe.“ Er zündete sich einen Zigarillo an, lehnte sich zurück, legte die Füße auf den Tisch (eine Angewohnheit, die sie hasste) und begutachtete seine Freiluftzehe.
„Der Minister macht Druck. Letzte Woche ist wieder ein Mann verschwunden, leider ein persönlicher Freund von ihm. Somit ist die Zahl auf insgesamt achtzehn gestiegen und wir haben nicht die geringste Spur, nicht einmal den Hauch einer Ahnung. Ich bin aber überzeugt, dass sie tot sind. Niemand löst sich in Luft auf. Bei achtzehn Männern ist auch nicht davon auszugehen, dass sie sich in
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