41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
unter die Massenmörder gegangen bist. Ach du Scheiße, was red‘ ich denn da daher! Louise, sorry, meine Liebe, manchmal bin ich einfach zu doof! Soll ich noch einmal von vorne anfangen? Ich gehe schnell hinaus, komme noch einmal herein, begrüße dich und wir starten neu?“
Louise war weder beleidigt noch verärgert, Alette hatte ja mit allem recht, aber sie genoss amüsiert ihre Bemühungen um Schadensbegrenzung, die sie ihrem losen Mundwerk zu verdanken hatte.
„Wenn du dann bitte langsam zum Ende kommen könntest? Ich würde dir gerne endlich zum Geburtstag gratulieren und dein Geschenk überreichen.“
Louise griff nach der Ledertasche und spürte das bekannte Ziehen an der Nasenwurzel und die Hitze in ihren Augen. Dieser Tage hatte sie aber verdammt nah am Wasser gebaut, diese Rührseligkeit musste aufhören.
Sie reichte Alette die Tasche, strich ihr liebevoll über die Wange, küsste sie auf die Stirn und räusperte sich.
„Ich wünsche dir nur das Beste, mein Kind.“
Alette schluckte. Die Atmosphäre war plötzlich berührend geworden. Sie zog das schwarze Päckchen aus der Tasche, steckte die Calla zu den anderen in die Vase, löste die Schleife und starrte verständnislos auf die Dokumentenmappe. Sie klappte sie schnell auf und las die Überschrift des ersten Blattes. „41 Rue Loubert, Besitzurkunde“. Darunter stand ihr Name. Sie verstand nicht, blätterte fahrig durch die anderen Unterlagen, überflog den Inhalt und als sie begriff, schossen ihr Tränen in die Augen, rote Flecke bildeten sich auf Hals und Stirn und fassungslos hauchte sie: „Warum?“
„Ich habe keine Kinder oder Verwandten, die mein Erbe antreten könnten. Mit Ende des Jahres setze ich mich zur Ruhe und ich bin zu müde, um mich weiter um das Haus zu kümmern. Du bist die Einzige, der ich mein Lebenswerk anvertrauen möchte.“
Alette putzte sich geräuschvoll mit der Stoffserviette die Nase.
„Aber warum jetzt schon?“
„Ich finde den Zeitpunkt perfekt. Außerdem gebe ich lieber mit der warmen Hand als mit der kalten.“ Nun tropften auch Louises Tränen auf das weiße Damasttischtuch.
Alette griff nach Louises Hand, hob sie an ihre Lippen und küsste sie.
Louise hätte ihr in diesem Augenblick am liebsten alles erzählt: Von den Männern, von St. Martin, von der Geburt hinter dem Fischcontainer. Sie wusste, Alette würde mit diesem Wissen nicht ruhig leben können und eines Tages mit jemandem darüber sprechen müssen. Dieses Risiko konnte sie nicht eingehen, sie würde sich selbst und ihr weiteres Leben damit vernichten.
Alette schniefte, leerte ihr Glas mit in den Nacken gelegten Kopf, schenkte sich Champagner nach und lächelte gequält. „Nun schau uns beide an: Zwei alte Huren aus der Rue Loubert heulen im piekfeinen Ritz um die Wette und verschmieren mit ihrer Mascara die kostbare Tischwäsche.“
„Das ist alles im Preis inbegriffen. Jetzt stoßen wir noch auf die neue Hausbesitzerin an, besprechen dabei Einzelheiten zu deinem Geschenk und dann lassen wir uns mit dem Taxi nach Hause chauffieren.“
Louise hatte ihre Fassung wieder gewonnen, der gefährliche Moment, der sie ihre Zukunft hätte kosten können, war vorüber.
Louise
Louise kam spät nach Mitternacht ziemlich angetrunken nach Hause; es war nun schon der zweite Abend in Folge, an dem sie vom Alkohol benebelt zu Bett ging. Es störte sie nicht sonderlich, für die nächsten beiden Tage hatte sie keine Termine außer Luc vereinbart, da sie sich ungestört ihren Vorbereitungen für die Abreise am Donnerstag widmen wollte.
Sie dachte an die Zeit zurück, als sie zum allerersten Mal in ihrem Leben Urlaub gemacht hatte. Vor fünfzehn Jahren hatte sie den Kredit für den Kauf des Hauses Nummer 41 und die abgeschlossenen Renovierungsarbeiten restlos abbezahlt. Abseits ihres Sparkontos bei der Credit Suisse war es ihr sogar gelungen, ein wenig Geld für einen kurzen Urlaub auf die Seite zu legen. Sie war ins nächste Reisebüro gegangen, hatte sich beraten lassen und saß wenige Tage später aufgeregt wie ein kleines Kind am Weihnachtsabend in einem Flugzeug, das sie nach Spanien brachte. Von da an erweiterte sie den Radius ihrer Reiseziele, merkte aber schnell, dass nicht nur Marta, sondern auch Kunden oder persönliche Freunde sie gerne begleiten würden. Daher erfand sie pflegebedürftige Verwandte in Deutschland, buchte die regelmäßigen Flüge nach Frankfurt ausschließlich über ihr Reisebüro und präsentierte sich dort als etwas
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