41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
Aufmerksamkeit Hendriks. Der grüne Plastiklöffel diente Luc ausschließlich dazu, Gemüse und Fleischstücke dekorativ über Tisch und Boden zu verstreuen. Gleichzeitig wurde er von Hendrik gefüttert.
Hendrik bemerkte Marcels Blicke und erklärte milde lächelnd: „Luc würde bei vollem Teller verhungern, müsste er alleine essen. Doch sein eigener Löffel gibt uns beiden ein wenig das Gefühl von Esskultur.“
Marcel war erleichtert, als die unappetitliche Prozedur endlich vorbei war und Hendrik Luc auf sein Zimmer brachte, wo er am Fernseher einen Kinderkanal mit Comicsendungen auswählte.
Die beiden Männer zogen sich mit Kaffee und Cognac in den Garten zurück.
„Womit kann ich Ihnen behilflich sein?“, eröffnete Hendrik das Gespräch. „Sie sagten am Telefon, Sie wollten mit mir über meine Flotte sprechen?“
„Sie betreiben einen Stützpunkt Ihres Unternehmens in Marseille?“, schoss Marcel ins Blaue.
Wenn Hendrik überrascht war, dass Marcel Erkundigungen über ihn eingezogen hatte, so ließ er es sich nicht anmerken. „Ja“, antwortete er, „schon seit mehr als achtzig Jahren. Mein Großvater hat die Flotte aufgebaut, mein Vater und ich haben sie weitergeführt. Heute verfügen wir über mehr als vierzig Stützpunkte in Häfen auf der ganzen Welt sowie zweihundert Transporter für die Schiffscontainer. Ein altmodisches, traditionelles Familienunternehmen, könnte man sagen. Mit Luc wird diese Tradition wohl ein Ende haben, aber ich habe bereits einen Nachfolger nach meinem Geschmack gefunden.“ Hendrik erzählte freimütig und ohne Unterbrechung.
„Dann haben Sie Louise also schon in Marseille kennen gelernt?“, preschte Marcel weiter vor.
Hendrik schüttelte verwundert den Kopf.
„Wie kommen Sie auf diese Idee?“
„Nun, das wäre doch naheliegend, wo doch auch Louise aus Marseille stammt?“
„Nein, nein, mein Freund, da sind Sie völlig schief gewickelt mit Ihrer Schlussfolgerung. Ich habe Louise in Paris kennen gelernt. Meine Frau war gestorben, ich befand mich in einer tiefen Depression und Louise wurde mir von meinem Hausarzt als Aufmunterung empfohlen.“
„Was wissen Sie über Louises Zeit, bevor sie nach Paris kam, über ihre Vergangenheit?“
„Darf ich fragen, woher Ihr ungemeines Interesse an Louise rührt?“, Hendrik wurde nun etwas unruhig.
„Nun, Sie haben bestimmt von den vermissten Männern gehört und alle Spuren führen zu Louise.“
„Zu Louise? Welche Spuren?“
Genau das war das Problem. Marcel hatte keine echten Spuren, eher nur einen Verdacht und er hatte es verabsäumt, sich auf diese Gegenfrage vorzubereiten.
„Nun ja“, wich er aus, „alle Männer wurden in Louises Umfeld gesehen. Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht weiterhelfen.“
„Luc und ich werden so wie viele andere auch in Louises Umfeld gesehen und wir leben noch.“
Dieser lakonischen Bemerkung hatte Marcel nichts entgegen zu setzen.
„Kennen Sie die Männer?“, setzte er nach.
„Den Zeitungsberichten zufolge ein, zwei vielleicht. Ich habe sie aber niemals bei Louise angetroffen.“
„Natürlich nicht. Louise ist ja ein Musterbeispiel an Ehrenhaftigkeit und Diskretion!“, stieß Marcel sarkastisch hervor.
„So ist es.“ Hendrik blieb ruhig und seine Worte, die er mit fester und überzeugter Stimme vorbrachte, blieben im Raum stehen.
„Louises Vergangenheit?“, versuchte Marcel einen letzten Vorstoß.
„Soviel ich weiß, stammt sie aus einer kinderreichen Bauernfamilie und hat diese sehr jung auf eigene Faust verlassen, um in Paris ihr Glück zu versuchen. Und sie hat ihr Leben ja auch bravourös gemeistert.“
„Sie haben sie nie in Marseille gesehen?“
„Ich habe zu meiner Zeit in Marseille nie in diesen Kreisen oder am Hafen verkehrt. Meine Frau und ich lebten in einem Herrenhaus in Montredon, nahe der Campagne Pastré. Ich führte meine Geschäfte von zu Hause aus. Als Luc kam, zogen wir hierher nach Paris, um ihm die beste medizinische Versorgung und Therapien zu bieten, die man für Geld kaufen konnte. Einige Jahre danach traf ich auf Louise und sie ist das Wunderbarste, das ich in meinem Leben erfahren durfte.“
Marcel spürte, dass er aus Hendrik nicht mehr herausbekommen würde. Wahrscheinlich wusste der alte Mann auch nicht mehr. So, wie er von Louise sprach, war klar, dass er sich vermutlich einst schwer in sie verliebt hatte, abgeblitzt war und sie dennoch immer noch verehrte. Anders zwar als früher, aber dafür inniger und
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