41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
umständliche und altmodische Kundin, die ohne Hilfe niemals über die Grenzen von Paris hinaus kommen würde. Frankfurt erwies sich in der Folge als ideale Wahl, da von dort aus nahezu jedes Land der Welt erreichbar war und ihr der riesige Flughafen Anonymität garantierte. In Frankfurt allerdings verließ sie niemals das Flughafengelände, sondern holte ihren Koffer vom Fließband in der Ankunftshalle und begab sich zu Fuß direkt in die angrenzende Abflughalle. Dort wählte sie an den Schaltern der zahlreichen Reiseveranstalter ihren jeweiligen Urlaubsort nach dem nächstmöglichen Anschlussflug. Auf diese Weise lernte sie interessante Flecken der Erde kennen, bis sie zufällig auf St. Martin landete. Sie verliebte sich auf der Stelle in diese malerische Oase im karibischen Meer und verbrachte nicht wenige Urlaube in einem idyllischen Dorf im Süden der Insel. Die Sehnsucht, an diesem Platz der Welt ihr Leben zu verbringen, wurde immer glühender und sie kam nach schlaflosen Nächten zu dem Schluss, dass sie es schaffen konnte. Sie würde die nächsten Jahre noch hart dafür arbeiten und sich auch listiger Tricks bedienen müssen, aber es war einen Versuch wert. Sollte sie mit ihrem Vorhaben scheitern, müsste sie sich eben in ihr Schicksal fügen.
Ihre erste Anschaffung zur Verwirklichung ihrer Träume war ein kleiner Laptop mit der fantastischen Möglichkeit, von jedem Ort aus das Internet nutzen zu können. Sie hatte nicht das mindeste Wissen über Computer, doch sie lernte schnell und es gab genügend verständlich geschriebene Fachbücher, aus denen sie grundlegende Kenntnisse gewinnen konnte. In einem schäbigen Internetcafé am Stadtrand von Paris holte sie sich beim Besitzer, einem jungen, illegal eingewanderten Schwarzafrikaner mit verfilzten Rastazöpfchen, immer dann Rat, wenn sie nicht mehr weiter wusste. Sie hatte keine Scheu, sich in der Spelunke aufzuhalten und kleidete sich für ihre Besuche auch dementsprechend. Mit verschmutzten, zerrissenen Jeans, einem zerfransten Strohhut und löcherigen Socken unter fleckigen Gesundheitsschuhen passte sie genau in die Szenerie und mit der Zeit entwickelte sich zwischen ihr und dem Rastajungen eine lockere Freundschaft (dass er sie als verrücktes, altes Huhn bezeichnete, war ihr nur recht).
Das Internet eröffnete ihr ungeahnte Möglichkeiten, mit denen sie ihrer Vision jedes Jahr ein Stückchen näher rückte, ohne dabei das Haus verlassen zu müssen.
Sie erstand mit Hilfe eines ihrer Kunden (er war höherer Beamter der Einwanderungsbehörde und erlag, kurz nachdem er Louise das Dokument ihrer neuen Identität ausgehändigt hatte, der Versuchung, sich ein goldenes Schokobonbon aus der Schale im Gästezimmer zu stibitzen) einen neuen Pass und von da an lief alles wie am Schnürchen.
Sie eröffnete auf St. Martin an einem unscheinbaren Bankschalter, der in einem Supermarkt untergebracht war, mit ihrem druckfrischen Pass ein Konto, zahlte bei jedem Besuch eine ansehnliche Summe in bar ein und beantragte nach geraumer Zeit eine Kreditkarte, mit der sie alle Rechnungen beglich, die mit ihrem neuen Leben zu tun hatten. Ihr Herzschlag setzte eine Sekunde lang aus, als der Beamte zur Überprüfung ihrer Daten das Melderegister ihres Wohnsitzes der Schweizer Botschaft bemühte, aber es schien alles in Ordnung zu sein. Zumindest stellte er keine Fragen und reichte ihr nur einige Blätter, die sie persönlich unterzeichnen musste. Ihre Flüge von Paris nach Frankfurt (als Louise Prousseau) blieben in fester Hand ihres Reisebüros, aber die Flüge von Frankfurt nach St. Martin (als Ana Campillo) erledigte sie nur mehr via Internet und wählte dabei stets wechselnde Flugrouten.
Vor fünf Jahren dann war das alte Ehepaar, bei dem sie bei ihren Aufenthalten meist in Pension gewohnt hatte, bei einem Bootsunfall ertrunken und sie hatte die Gelegenheit beim Schopf gepackt und der Tochter angeboten, das baufällige Häuschen mit schmalem Strandstreifen samt Ruderboot zu kaufen. Die Erbin, dankbar, dass sie für die Ruine sogar noch Geld erhielt, hatte sofort eingewilligt und Louise konnte ihr Glück kaum fassen: Ana Campillo war dabei, ihren Wohnsitz zu wechseln: In die Kust Straat 24, 31661 St. Maarten. Die letzten Ausflüge in die Kust Straat hatte sie dazu genutzt, nach Überwachungskameras auf den Flughäfen Ausschau zu halten, Zollkontrollen zu beobachten, Flugpläne zu studieren und nach Lücken oder Schwachstellen in ihren Plänen zu forschen. Sie war immer auf der
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