41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
sie brachte es nicht über das Herz, Hendrik und Luc alleine zurückzulassen.
Hendrik wäre verloren ohne sie, verzweifelt und hilflos. Sie würde ihn seiner Lebensfreude berauben, würde sie ihn von einem Tag auf den anderen verlassen. Er würde der Schwermut verfallen, sein altes Herz würde nichts desto trotz weiterschlagen, Lucs zuliebe. Auch Luc würde sie vermissen. Hendrik würde keinen angemessenen Ersatz für sie finden, Marta und Alette waren nur ein müder Abklatsch und schwacher Trost. Luc würde unruhig werden, aufsässig, vielleicht sogar ein wenig aggressiv und Hendrik damit noch mehr Sorgen bereiten, als er es die letzten vierzig Jahre schon getan hatte. Man hatte ja gesehen, was gestern bei Lucs erstem Ablenkungsmanöver mit Marta herausgekommen war. Sie würde Hendrik und Luc einem Leben voller Ängste und Seelenqualen aussetzen. Hendrik würde der Mut fehlen, ihrer beider Leben ein freiwilliges Ende zu bereiten und er würde sich in einem grauenhaften Dilemma befinden.
Louise musste ihren beiden lieben de Poorts diese leidvollen Schmerzen ersparen. Hendrik war ein warmherziger und sanftmütiger Mensch, der in seinem langen Leben keinem lebenden Wesen je etwas zu Leide getan hatte. Seine Menschenfreundlichkeit und Güte waren einzigartig und dafür achtete und liebte sie ihn. Sie war es ihm schuldig, ihm ein friedvolles und sorgenfreies Ende zu ermöglichen.
Louise hatte sich darauf sorgsam vorbereitet. Sie würde Luc wie gewohnt morgen um siebzehn Uhr empfangen und ihn mit einem der beiden goldenen Schokoladenbons aus ihrem Kühlschrank begrüßen. Er würde schnell in tiefe Bewusstlosigkeit fallen und sie würde ihn behaglich auf das weiße Sofa im Gästezimmer betten. Sobald die Zeit gekommen war, würde sie hinunter zum Tor gehen, Hendrik erklären, dass sein Sohn ermattet eingeschlafen war und ihm vorschlagen, er möge doch mit in die Wohnung kommen, um bei einem beschaulichen Gläschen Wein Lucs Schönheitsschlaf abzuwarten. Hendrik würde sich darüber sehr freuen und im Gästezimmer seinen entspannten, schlafenden Sohn vorfinden. Louise würde ihm ein Glas Rotwein einschenken und ihn zu einer Kostprobe des zweiten Bonbons überreden. Sobald auch Hendriks Herz seinen letzten Schlag getan hatte, würde sie Vater und Sohn im Brennofen vereinen. Während die beiden ihre letzte, gemeinsame Reise antraten, würde sie selbst ihre Wohnung in Ordnung bringen und sich für ihre eigene letzte Reise rüsten. War der Ofen erst wieder abgekühlt, würde sie ihn reinigen; die Asche käme aus verständlichen Gründen nicht nach Anchieu ins Blumenbeet, sondern zum Abspülen in die Badewanne. Luc hatte immer so gerne in der Wanne geplantscht und in frühen Jahren war auch Hendrik einem Wasserbad mit ihr als verführerischer Nixe nie abgeneigt gewesen.
Hendriks linke, künstliche Schulterkugel, die wahrscheinlich der Hitze die Stirn bieten konnte, würde sie in den Mülltonnen des Bistros versenken, von wo aus sie am Freitagmorgen von der städtischen Müllabfuhr zu weiteren Verarbeitung abgeholt werden würde.
Zwei Stunden später würde ihr Taxi zum Flughafen vorfahren und um Mitternacht würde sie bereits in Frankfurt das erste Flugzeug nach Bangkok besteigen.
Hendrik und Lucs Verschwinden würde frühestens am Freitagmorgen entdeckt werden, wenn Marie kam, um nach dem Rechten zu sehen und das Frühstück zu bereiten. Louise wusste, dass alle Angestellten Hendriks donnerstags ihren freien Tag hatten. Sie wusste auch, dass es ihren ganzen Mut erfordern würde, diese Vorhaben lückenlos durchzuführen. Nur der Gedanke an Hendriks und Lucs unermessliches Elend nach ihrem Verschwinden hielt sie aufrecht.
Um nicht in unkontrollierbare Zweifel zu verfallen, musste sie sich ablenken. Sie ließ alles liegen und stehen, legte frisches Makeup auf und lief leichtfüßig über die Marmortreppen nach unten und zu Marta ins Bistro.
Marta freute sich über den unerwarteten Besuch ihrer Freundin, sowie sie sich auch darüber freute, dass Louise ihren Kühlschrank geplündert hatte. Sie fühlte sich geschmeichelt, dass Louise ihre Kochkünste so zu schätzen wusste und herzhaft zugriff. Louise ließ sich von der Notwendigkeit, einige Gläser Chardonnay zu trinken, bereitwillig überzeugen, doch als nach geraumer Zeit von Alette weit und breit nichts zu sehen war und es so spät war, dass sie auch nicht mehr kommen würde, verabschiedete sie sich von Marta mit einer innigen Umarmung, die Marta zutiefst
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