41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
unangemeldete Besuch eines Polizisten versetzte hier schon lange niemanden mehr in Aufruhr.
Er durchquerte die riesige Eingangshalle, Marmor, Glas und Stahl dominierten einen Baustil, der mit moderner Architektur Erfolg und Reichtum vermitteln sollte. Marcel ließ seine Blicke aufmerksam umherschweifen, auf der Suche nach Hinweistafeln, anhand derer er herausfinden konnte, auf welchem Stockwerk er Alette finden würde. Doch wer dieses Gebäude betrat, wusste, wohin er wollte oder erkundigte sich bei der jungen Dame am Empfangspult; Schilder oder Tafeln würden das vollkommene Bild gediegenen Prunks empfindlich stören. Marcel wollte keine Aufmerksamkeit erregen und nicht offiziell nach Alette fragen. Er würde Stockwerk für Stockwerk abklappern und hoffte, dass wenigstens die Büros mit den Namen ihrer Benutzer beschildert waren. Auf der neunten Etage gab er auf, klopfte an die nächste Türe, erklärte der erstbesten Sekretärin, dass er wegen einer schlechten Telefonverbindung wahrscheinlich ein falsches Stockwerk verstanden habe und bat um die Nummer von Alettes Büro.
In der gläsernen Aufzugskabine, die lautlos in die höhere Führungsebene schwebte, musste er über seinen einfältigen Versuch, sich selbst an Schlauheit zu übertreffen, grinsen. Er bezweifelte, dass er zu Fuß Alettes Büro im vierzigsten Stockwerk noch vor Einbruch der Nacht erreicht hätte. Mit einem dezenten Summton öffneten sich die Türen des Aufzugs und Marcel stand direkt im Vorzimmer von Alettes Reich. Hinter einem nachtblau glänzenden Schreibtisch saß ein höflich lächelnder junger Kerl, den sich Alette aus einem Katalog der zehn bestaussehendsten Bodybuilder unter dreißig bestellt haben musste. Als er Marcels forschen Schritt wahrnahm, erhob er sich von seinem Platz, baute sich breitbeinig vor Marcel auf und fragte sanft:
„Womit kann ich Ihnen behilflich sein?“
Marcel ließ kurz seine Dienstmarke aufblitzen, murmelte einen unverständlichen Satz, in dem nur die Worte „Alette“ und „Termin“ erkennbar waren und bevor der Sekretär reagieren konnte, hatte Marcel Alettes Bürotüre mit einem lauten „Guten Morgen, Madame Alette! Wie erfreulich, dass Sie so kurzfristig für mich Zeit haben!“ geöffnet.
Alette drehte sich erschrocken von der Bar, an der sie sich gerade ein Glas Wasser holen wollte, um, fasste sich aber schnell und trat auf Marcel zu.
„Monsieur Inspecteur, bitte treten Sie doch näher.“
Marcel hatte es nicht nur bei dem unglaublichen Ausblick auf Paris durch die Glasfront die Sprache verschlagen, auch Alette war kaum wiederzuerkennen. Sie hatte ihr kurzes, schwarzes Haar streng nach hinten gekämmt, trug eine schwarz umrandete, eckige Brille und ein hautenges, rotes Sommerkleid, das wie angegossen an ihrer perfekten Figur anlag. Nur die schwarzen Stilettos erkannte Marcel wieder.
Ihr Händedruck war kurz und kräftig. Sie deutete auf den Besuchersessel, setzte sich ihm gegenüber und musterte ihn. „Was wollen Sie?“, fragte sie kurz, nicht unfreundlich, doch sie ließ deutlich erkennen, dass sie über seinen Besuch alles andere als begeistert war.
Marcel wusste, dass er ihr nichts vormachen konnte und dass er mit Ausreden bei ihr nicht weiter kommen würde.
„Ich denke, dass Sie über einen Zugang zum Zentralcomputer verfügen und für mich Louises Flugzeiten der letzten Monate überprüfen könnten“, kam er direkt zur Sache.
„Natürlich habe ich das und natürlich kann ich das. Aber warum sollte ich das tun?“, fragte sie erstaunt und drehte ihr Wasserglas zwischen den Händen.
Marcel beugte sich vor.
„Weil Sie damit die Ermittlungen der Polizei erheblich unterstützen könnten.“
„Und warum sollte ich das wollen?“
„Weil Sie damit möglicherweise dazu beitragen, Louise zu entlasten.“
„Louise entlasten?“
„Sollte sich herausstellen, dass Louise sich zu den Zeiten, als die Männer verschwanden, in Frankfurt aufgehalten hatte, scheidet sie als Verdächtige aus. Sie könnten ihr also zu einem verlässlichen Alibi verhelfen.“
„Warum legen Sie mir dann keinen entsprechenden, richterlichen Bescheid vor?“
„Weil mir diese Idee erst vor knapp einer Stunde gekommen ist und ich keine Zeit mehr hatte, mich darum zu kümmern.
„Bin ich dazu überhaupt befugt?“, fragte Alette mehr sich selbst als ihn.
„Sollten Sie Louise damit entlasten können, komme ich morgen auf offiziellem Wege wieder.“
„Und wenn nicht?“
Marcel schwieg.
Alette überlegte
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