41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
danach, löste ihn vom Boden, warf ihn zum Küchenmüll und öffnete alle Fenster ihrer Wohnung. Im Geiste ging sie dabei nochmals all ihre Vorhaben durch, die noch zu erledigen waren. Es war wichtig, dass der Ofen morgen einsatzbereit und nicht mit Dingen vollgestopft war, die eine zusätzliche Spezialbehandlung benötigten.
Ihre Tickets von der Reiseagentur ordnete sie sorgfältig in eine kleine Mappe, die sie in ein Extrafach an der Rückseite ihrer Handtasche steckte, überprüfte den Stand ihrer Barschaft, legte gegen den Jetlag vorsorglich eine Schlaftablette in ihre Geldbörse (es würde ein langer, umständlicher Weg nach St. Martin werden; sie hatte für ihre letzte Reise eine komplizierte Route über Bangkok mit mehreren Anschlussflügen und Zwischenstopps gewählt) und suchte in einer Küchenschublade nach dem alten, verrosteten Messer, das sie als einziges Andenken an ihr altes Leben mitnehmen wollte. Es hatte ihr gute Dienste geleistet und gehörte noch lange nicht zum alten Eisen. Sie wickelte es in die Reste des Seidenpapiers von Alettes Geschenk und schob es in eine kleine Medikamentenschachtel, die sie in einen Schuh zwängte, der am Boden des fast fertig gepackten Koffers lag.
Das Telefon klingelte.
Hendrik wird noch etwas Besorgniserregendes eingefallen sein, dachte Louise mit leichter Ungeduld.
„Ja, mein Lieber?“, fragte sie mit unterdrücktem Seufzen.
Pricard schnarrte seine drei Sätze wie auswendig gelernt in den Telefonhörer: „Am Freitag um sechs Uhr früh fährt der Putztrupp vor. Sorge dafür, dass das Tor geöffnet ist. Um zwölf Uhr kommt Marcel mit der Spurensicherung.“ Blitzartig legte er auf.
Louise setzte sich auf den Boden im Flur und lachte, bis ihre Rippen schmerzten und ihr gereiztes Gelächter in klagendes Wimmern überging.
Luc
Lucs innere Uhr sagte ihm, dass er nur mehr ein Mal in seine bunte Pyjamahose schlüpfen musste, bis Hendrik ihn wieder zu der Frau mit dem weichen, roten Haar, der samtenen, bleichen Haut und den flauschigen Bällen mit dem einzigartigen Duft bringen würde. Er wusste natürlich, dass sie Louise hieß, aber das Wort war für ihn unmöglich auszusprechen, auch wenn seine Sprachtrainerin ihn mit verschiedensten Tricks dazu bringen wollte, die komplizierten Laute zu einem sinnvollen Wort zusammenzufügen. Wenn sie beim Training den Spiegel vor ihn hinstellte, machte er dabei ein Gesicht wie die kleinen Äffchen, die er beim Zoobesuch mit Marie in den weitläufigen Käfigen gesehen hatte.
Der Besuch von Marcel heute Mittag bereitete ihm Sorgen. Er hatte zwar nicht verstanden, was er von Hendrik wollte, jedoch begriffen, dass es um Louise ging.
Immer wenn Hendrik ihn in sein Zimmer brachte, ihm Leckereien anbot und den Fernseher anstellte, wusste Luc, dass Hendrik Wichtiges zu tun hatte, bei dem er nicht gestört werden wollte. „Ich habe jetzt eine Besprechung, Luc, und du musst inzwischen ganz brav und ruhig sein. Du darfst dir aber Comics ansehen und auch von der Schokolade naschen“, sagte er stets, bevor er Luc alleine in seinem Zimmer ließ.
Meist ging Hendrik dann in sein Arbeitszimmer, um zu telefonieren, oder er saß mit einem Besucher auf der Terrasse.
Luc war, seit er sich einigermaßen selbständig bewegen konnte, außerordentlich neugierig und abenteuerlustig. Darum hatte er auch hart daran gearbeitet, vom Fenster seines Zimmers, das im Erdgeschoß lag (Hendrik wollte mit einem Zimmer im Erdgeschoß verhindern, dass Luc sich möglicherweise durch einen unglücklichen Sturz aus dem Fenster schwer verletzen konnte), lautlos in das darunter liegende Blumenbeet zu gelangen. Anfangs war er oftmals abgestürzt und hatte wehleidig gebrüllt, bis ihm Marie oder Hendrik zu Tode erschrocken zu Hilfe geeilt waren.
Hendrik hatte, nachdem Lucs Fluchtversuche nicht zu kontrollieren waren, das Fenster mit einem Riegel sichern lassen. Erst als Luc keine Anzeichen mehr erkennen ließ, dass er die Freiheit unbedingt über den Weg seines Zimmerfensters erkunden musste, war das Sicherheitsschloss am Fensterahmen wieder entfernt worden. Luc hatte seine Lektion gelernt: Er durfte bei seinem nächsten Vorstoß keinesfalls schreien, auch wenn er stürzen und sich verletzen sollte. Niemand durfte auf ihn aufmerksam werden, sonst wäre es mit seinen Ausflügen vorbei.
Das war ihm auch so gut gelungen, dass er mittlerweile sein Zimmer durch das Fenster verlassen konnte, ohne zu straucheln und er konnte auch wieder über das Fenstersims selbständig
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