41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
entschieden, seine Wartezeit im Bistro statt in der Bar zu verbringen, um sich ein wenig mit Marta zu unterhalten und sich ein besseres Bild von ihr machen zu können. Vielleicht war er in seinem Urteil ja etwas zu hart mit ihr und eine nähere Bekanntschaft konnte auch Luc in Hinkunft nicht schaden.
Marta musste all ihren Mut zusammennehmen, um hinter dem Tresen hervorzukommen und Hendrik nach seinen Wünschen zu fragen. Normalerweise saß er, während Luc von Louise betreut wurde, in der Bar gegenüber auf der anderen Straßenseite und blickte wie ein todtrauriger Dackel zu Louises Fenster hinauf. Jetzt war er bestimmt gekommen, um ihr Vorwürfe wegen des Desasters mit Luc zu machen. Sie wischte sich ihre Hände an der Schürze ab, fuhr sich kurz durch ihre Haare, straffte ihre Schultern und wappnete sich gegen Hendriks Anschuldigungen. Sie hatte sich nichts vorzuwerfen. Lucs Reaktion war für sie schockierend gewesen und dass es ihr nicht gelungen war, ihn zu beruhigen, war wirklich nicht ihre Schuld. Hendrik würde ihr nun erklären, dass ihre Dienste nicht länger erwünscht wären. Das tat ihr sehr leid. Ihre Hoffnungen, mit Hendrik und Luc endlich eine Stufe in die bessere Gesellschaft aufzusteigen, waren dahin. Auch das fürstliche Sümmchen, das Hendrik für die Arbeit an seinem Sohn berappte, konnte sie vergessen.
Doch was Marta noch viel mehr beschäftigte, war das nagende Gefühl, Louise enttäuscht zu haben. Louise hatte großes Vertrauen zu ihr bewiesen, als sie ihr Luc vermittelte und sie hatte es vermasselt. Dass Louise wie immer ihren Kühlschrank geplündert, sie dafür großzügig entschädigt, einige Gläschen Wein mit ihr getrunken und sie am Ende sogar fest umarmt hatte, sprach indes dagegen, dass Louise in ihr eine Versagerin sah. Sie hatte auch den unglückseligen Zwischenfall mit Luc mit keinem Wort erwähnt oder Marta Vorhaltungen gemacht. Dafür war ihr Marta nicht nur dankbar, sondern es bestärkte sie nur in ihrer bedingungslosen Liebe zu Louise. Seit Louise Marta angeboten hatte, sich in einem Appartement im Haus Nummer 41 den mickrigen Lohn vom Bistro ein wenig aufzubessern, verehrte Marta sie hingebungsvoll. Louise war ihr Vorbild, ihr Idol. Mit Louises Hilfe hatte Marta sich ein Sparkonto zugelegt und sie hortete eisern ihr Geld, verwendete nichts davon für sich selbst. Sie wollte ihr Erspartes dazu benutzen, um sich mit ihrem Mann im Alter ein wenig Luxus leisten zu können. Ihr Mann war Fließbandarbeiter in einer Konservenfabrik außerhalb von Paris, schuftete für einen Hungerlohn und würde sie umbringen, wenn er erfuhr, was sie tat. Aber die Aussicht auf ein beschauliches Leben im Ruhestand ließ Marta ihre Ängste vergessen und bisher war auch alles gut gegangen.
Sie trat an Hendriks Tisch, bereit für die Abfuhr, doch Hendrik lächelte ihr freundlich zu und es hatte nicht den Anschein, als wäre er böse oder auch nur ungehalten. Unsicher lächelte auch Marta.
„Guten Tag, Monsieur de Poort, was darf ich Ihnen bringen?“
„Guten Tag, Marta. Was können Sie mir empfehlen? Ich bin mit Ihrer Karte noch nicht so vertraut, doch das wird sich wohl in Hinkunft ändern.“
Marta fiel ein Stein vom Herzen und sie errötete vor Aufregung.
„Nun, Monsieur, für diesen heißen Sommertag würde ich einen erfrischenden Chardonnay empfehlen und dazu vielleicht eine Kostprobe meiner köstlichen Canapes?“
„Das klingt hervorragend, meine Liebe.“
Marta atmete erleichtert auf und eilte in die Küche, um für Hendrik einige besonders schmackhafte Leckerbissen zusammenzustellen. Er musste rasch bedient werden, denn er hatte nicht viel Zeit, bis Louise seinen Sohn wieder zum Tor brachte.
Sie servierte ihm den einladenden Imbiss und eine Karaffe kühlen Weins und entdeckte dabei Marcel, der seinen Dienstwagen vor dem Bistro direkt auf der Straße parkte.
Sie hatte keine Gelegenheit mehr, ein paar Worte mit Hendrik zu wechseln, denn Marcel sprang aus dem Wagen, eilte auf Hendrik zu und rief erfreut:
„Monsieur de Poort, ich bin auf der Suche nach Ihnen! Darf ich mich zu Ihnen gesellen?“
Hendrik deutete einladend auf einen Stuhl neben sich, was blieb ihm anderes übrig?
„Marta, würden Sie mir bitte einen Kaffee und ein Glas Wasser bringen?“, fragte Marcel liebenswürdig.
Marta nickte nur.
Was wollte Marcel von Hendrik? Ihn über Louise befragen? Dieser Inspecteur entwickelte sich langsam zu einer Landplage.
Hoffentlich würde er nicht auch mit ihr sprechen wollen.
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