41 - Unter heisser Sonne
Unmöglichkeit!“ fiel sie mir in die Rede. „Die reine Unmöglichkeit!“
„Seit wann ist sie denn fort?“
„Wohl eine Woche schon, Effendi. Warte einmal; ich will es ausrechnen. Heut haben wir Jom el Arba'a (Mittwoch) und am Jom el Chamis (Donnerstag) ist es geschehen; es sind also sechs Tage vergangen.“
„Und wie ist es gekommen? Erzähle es mir doch!“
Sie fuhr sich wieder mit den Teighänden in die Augen, welche von neuem zu tränen begannen und antwortete:
„Wie kann ich es dir erzählen? Ich bin ja nicht dabeigewesen und weiß also nicht, wie es geschehen ist.“
„Hm! Wann hast du sie denn an dem betreffenden Tag zum letzten Mal gesehen?“
„Am Abend.“
„Wo?“
„Draußen im Hof.“
„Was tat sie da?“
„Ich holte Wasser und kehrte mit demselben in die Küche zurück; da begegnete sie mir und sagte, daß sie noch ein wenig in den Garten gehen wolle.“
„So! Hat sie das getan?“
„Ja.“
„Weißt du das genau?“
„Ja, denn ich blieb stehen und blickte ihr, die mein Liebling war, nach, bis sie im Garten verschwand.“
„Und dann hast du sie nicht wieder gesehen? Sie ist nicht aus dem Garten zurückgekehrt?“
„Nein.“
„Ist das kein Irrtum?“
„Ich täusche mich nicht. Du weißt ja auch, Effendi, daß sie täglich des Abends vor dem Schlafengehen in den Garten ging. Wenn sie aus demselben zurückkehrte, kam sie stets zu mir herein, um mir ‚Gute Nacht‘ zu sagen. Das hätte sie jedenfalls auch an diesem Abend getan, sie hat es nie versäumt.“
„Wann habt ihr sie vermißt? Am anderen Morgen?“
„O nein, sondern schon an jenem Abend. Eben weil sie nicht zu mir kam, blieb ich wach, um auf sie zu warten. Da sie noch immer nicht erschien, so ging ich in den Garten, um sie zu suchen; sie war nicht mehr da.“
„Auch nicht im Schlafzimmer?“
„Nein. Ich weckte den Herrn, dem sie den gewöhnlichen Nachtgruß auch nicht gebracht hatte. Wir suchten im ganzen Haus, doch vergeblich. Da sandten wir Boten durch die ganze Stadt, mein Liebling war aber nirgends zu finden.“
„Habt ihr denn keine, gar keine Ahnung, auf welche Weise sie verschwunden sein kann?“
„Keine!“
„Gab es im Garten keine Spur?“
„Nein. Der Herr hat es dem Pascha gemeldet. Dieser kam selbst und brachte viele Asaker und Subbat (Soldaten und Polizisten) mit, welche nachforschen mußten; es wurde nichts gefunden. Dann wurde die ganze Umgegend abgesucht, doch auch vergeblich.“
„Sonderbar! Rahel kann doch nicht in die Erde hinein verschwunden und durch die Luft davon geflogen sein! Wäre ich doch da gewesen! Ich hätte gewiß eine Spur gefunden.“
„Das sagte auch der Herr, und darum haben wir mit so großem Verlangen auf dich gewartet.“
„Wohl auch umsonst, denn nun, nach sechs Tagen, ist jede Spur verwischt. Der Herr ist beim Pascha?“
„Ja. Er geht täglich mehrere Mal zu ihm, um ihn zu fragen, ob noch nichts gefunden ist und ihn zu neuem Forschen anzuspornen. Horch! Man führt sein Pferd in den Hof; er ist also zurückgekehrt. Sprich mit ihm, Effendi, sprich mit ihm! Vielleicht gelingt es dir, eine Spur zu entdecken.“
Dieses Vertrauen hätte mich erfreuen können, wenn ich es für möglich gehalten hätte, ihm zu entsprechen. Manasse Ben Aharab empfing mich mit einem Ausruf der Freude; er sah sehr angegriffen aus; das unerklärliche Verschwinden seiner Tochter zehrte an seinem Körper und auch an seiner Seele; das sah ich ihm sofort an. Er mußte erzählen; leider aber konnte er mir auch nicht mehr sagen, als was ich schon von Rebekka erfahren hatte, setzte aber trotzdem große Hoffnungen auf mich.
„Effendi, fordere von mir, was du willst, ich werde es dir geben, nur bringe mir den Glanz meiner Augen, das Licht meiner Seele wieder!“ bat er mich.
„Manasse, ich fühle mit dir und bin von dem, was ich erfahren habe, selbst tief erschüttert“, antwortete ich ihm; „aber wie kann ich, der hier ganz Fremde, dir diejenige wiedergeben, die du verloren hast, nachdem alle Bemühungen des Pascha und seiner Leute vollständig vergeblich gewesen sind.“
„Oh, ich weiß, daß du viel erlebt und viel erfahren hast. Du hast so manches fertiggebracht, was keinem anderen gelingen wollte, und wirst auch hier einen Weg finden, der zum Ziele führt.“
„Leider muß ich das bezweifeln, doch wollen wir nichts unversucht lassen. Kommt mit mir nach dem Garten!“
Wir gingen hinaus, und ich durchsuchte jeden Winkel; ich betrachtete jeden Strauch, jeden Mauerstein
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