41 - Unter heisser Sonne
soeben zum letzten Mal geatmet. Am Fuß des Lagers kauerten die zwei Quacksalber, die sich Ärzte nannten. Zu Häupten desselben saß ein Beamter mit den drei Zeugen. Er sah uns forschend an, stand langsam und würdevoll auf und fragte:
„Bist du der fremde Kara Ben Nemsi Effendi, von dem dieser Tote mit mir gesprochen hat?“
„Ja“, antwortete ich.
„Und dein Gefährte ist der Mann aus Amerika?“
„Ja.“
„So habe ich euch vor diesen Zeugen etwas zu eröffnen.“
Er winkte den Ärzten; sie entfernten sich, dann fuhr er fort:
„Die Tochter dieses Toten ist nicht seine Tochter; sie ist auch keine Jüdin, sondern eine Christin.“
Welch eine Überraschung! Ich ließ einen Ausruf des Erstaunens hören, worauf er erwiderte:
„Dieser Tote hat im Sterben ein Bekenntnis abgelegt. Er kam als armer Händler nach Dschidda, welches vor Mekka, der Stadt der Propheten, liegt. Dort forderte el Haua el Asfar (Cholera) das Leben vieler Menschen. Manasse Ben Aharab sah auf der Gasse einen Sterbenden mit einem schönen, kleinen Mädchen liegen. Der Sterbende rief ihn zu sich und sagte ihm, daß er ein Nauti (Matrose) aus dem Bilad Fransa (Frankreich) sei, das Kind aber sei das Enkelchen eines berühmten Raïs (Kapitän), welches er nach dem Bilad Fransa bringen solle, nun aber nicht bringen könne, weil er hier vom Tod überfallen worden sei. Er bat ihn, das Enkelchen nach Suez zum Konsul zu schaffen, und gab ihm ein Gezdahn (Brieftasche), welches dem Kind gehörte. In demselben waren große Geldscheine und einige Papiere in fremder Sprache. Der Nauti starb nach wenigen Minuten; Manasse nahm das Kind und dessen Eigentum. Er wollte ehrlich sein; aber die Geldscheine siegten über sein Gewissen. Er behielt sie und das Kind und vernichtete die fremden Papiere. In Kairo ließ er sich Gold für die Scheine geben und ging dann mit dem Enkelchen des berühmten Raïs erst nach Tunis und dann gar hierher nach Mursuk, weil er glaubte, in dieser abgeschiedenen Gegend könne das, was er getan hatte, nicht entdeckt werden. Er war dem Enkelchen ein guter Vater, konnte aber nie vergessen, daß er es betrogen hatte. Da nahte plötzlich der Tod, und er ließ mich kommen, um mir dies mitzuteilen. Sein Testament liegt hier in meiner Hand; sein Vermögen gehört der Enkelin des berühmten Raïs, welche die Frau des Mannes aus Amerika werden soll.“
Er hielt inne, wir beide standen starr. Endlich fragte ich:
„Woher weißt du, daß sie eine Christin ist?“
„Der sterbende Nauti hat es gesagt.“
„Wie hieß ihr Großvater, der berühmte Raïs?“
„Niemand weiß es, denn Manasse hat die Papiere vernichtet, die er nicht lesen konnte.“
„Wer wird Vollstrecker dieses Testamentes sein?“
„Der Pascha selbst. Ihr müßt euch an ihn wenden. Manasse Ben Aharab hat noch von einem Higab (Amulett) gesprochen, welches Rahel am Hals hängen hat. Sie soll es öffnen, um zu sehen, was sich in demselben befindet. Ich gehe jetzt zum Pascha, um ihm dies alles zu melden und ihm das Testament zu überreichen. Er wird euch kommen lassen, um mit euch zu sprechen.“
Er entfernte sich mit den drei Zeugen, und wir waren nun allein mit dem Toten, den wir für den Vater Rahels gehalten hatten. Wie hatte er sich an ihr vergangen! Er hatte sie und ihr Vermögen den fernen Angehörigen entzogen. Wer waren diese, und wo wohnten sie? In Frankreich? Wer war ihr Großvater, der ‚berühmte Kapitän‘, gewesen, und wie war sie in die Obhut eines gewöhnlichen Matrosen gekommen? Ob das Amulett wohl diese Fragen zu beantworten vermochte?
Nun war es sicher, daß sie nach Kaïrwan geschleppt wurde. Sie mußte befreit werden. Forster beteuerte, sein Leben tausendmal daran zu wagen, traute sich aber nicht die dazu nötigen Erfahrungen zu. Hier an der Leiche bat er mich, ihn ja nicht zu verlassen, und ich versprach ihm, mit nach Kaïrwan zu gehen, obgleich dadurch mein ursprünglicher Reiseplan vollständig umgestoßen wurde.
Er wäre am liebsten sofort aufgebrochen, denn er hatte große Angst um die Geliebte. Aber wir mußten Manasse Ben Aharab begraben. Und dann galt es, das Erbe Rahels sicherzustellen. Forster brauchte es nicht, denn er war ein steinreicher Mann; aber er hielt es für seine Pflicht, das Eigentum der Geliebten ihr möglichst zu erhalten, und ich bestärkte ihn darin. Natürlich floß ein beträchtlicher Teil desselben in den Säckel des Pascha und in andere Taschen, und es wäre wohl ganz und gar zu Wasser geworden, wenn die Blutegel
Weitere Kostenlose Bücher