41 - Unter heisser Sonne
dichten Urwald und vorn durch eine mehrfache Reihe bewaffneter Dayaks, welche außerdem auch das andere Ufer des Wassers besetzt hielten. Sie hatten die Europäer bereits gesehen, schwangen ihre Spieße und Blasrohre und erhoben ein mächtiges Geschrei.
„Da“, meinte der Oberconstabel, welcher mit einer Flinte und einer riesigen Keule bewaffnet war, „da haben sie sich uns in das Fahrwasser gelegt. Ich denke, wir segeln sie über den Haufen, Kapitän!“
„Nein“, antwortete der Gefragte. „Noch wissen wir nicht, ob sie uns freundlich oder feindlich gesinnt sind.“
Er ließ die Mehrzahl seiner Leute zurück und schritt mit Holmers und noch drei anderen vorwärts, bis er sich nur noch in einer Entfernung von vierzig Schritten von den Malayen befand. Er durfte sich sicher fühlen, da die Zurückgebliebenen die Dayaks ganz gut mit ihren Kugeln erreichen konnten. Als die letzteren sein Manöver bemerkten, traten auch von ihnen fünf vor. Der eine von ihnen erhob den Wurfspieß und rief:
„Ada tuan-ku?“
Diese Worte bedeuten: „Welcher ist mein Herr?“ Sie enthielten eine Höflichkeit, und es ließ sich vermuten, daß die Dayaks nicht die Absicht hegten, feindlich vorzugehen. Surcouf hatte sich so viel des Malaiischen angeeignet, daß er antworten konnte:
„Ich bin der Anführer dieser Männer. Was führt euch an diese Stelle?“
„Wir wollen dich empfangen“, lautete die Antwort.
„Woher wißt ihr, daß wir kommen?“
„Die drei Männer, welche du uns sandtest, haben es uns gesagt.“
„Wo sind sie?“
„Es sind nur noch zwei; sie sind bei uns gefangen.“
„Warum?“
„Sie haben uns einen Mann getötet. Sie kamen zu uns, um den Pengadschar (Lehrer, Missionar) zurückzuverlangen; ich bin der Häuptling; sie wollten mir mein Gold wiedergeben, ich aber verlangte ein Gewehr mit Blei und Pulver. Sie wollten nicht, und als sie den Pengadschar erblickten, ergriffen sie ihn, um mit ihm zu entfliehen. Wir traten ihnen entgegen; da nahm der eine sein Messer und erstach den Sohn meines Bruders. Mein Bruder war nicht da, darum ergriff ich meinen Spieß und stach den Mann in die Hand; er starb, denn dieser Speer ist in das Tapu-Upas getaucht. Nun haben wir die zwei übrigen gebunden; sie liegen in meiner Hütte, und du kannst sie sehen.“
Die Worte dieses Mannes klangen genauso, als ob er die volle Wahrheit gesagt habe. Die Boten Surcoufs hatten unvorsichtig gehandelt und die Malayen gereizt.
„Und was verlangt ihr jetzt für den Pengadschar?“ fragte nun Surcouf.
„Das, was ich gesagt habe, denn ich rede nicht mit zwei Zungen. Aber den Toten mußt du uns bezahlen.“
„Er ist bereits bezahlt, denn du hast seinen Mörder getötet; doch erlaube ich dir, einen Preis zu fordern.“
„Das wird sein Vater tun, welcher bei seiner Leiche in der Hütte sitzt. Du wirst mit uns gehen müssen.“
„Versprichst du uns volle Sicherheit?“
„Ja. Ihr werdet meine Gäste sein.“
Sie wurden weiter flußaufwärts geführt, bis sie ein Tal erreichten, unter dessen Bäumen die primitiven Wohnungen der Dayaks standen. In der größten derselben, welche dem Häuptlinge gehörte, sollte die Beratung geschehen, zu welcher sich die Angesehensten versammelten. Auch der Bruder des Häuptlings erschien; er hatte sich mit allerlei Zeichen seiner Trauer behangen und blieb während der ganzen Verhandlung stumm. Natürlich begehrte Surcouf vor allen Dingen, den Missionspriester und die beiden Boten zu sehen. Dieser Wunsch wurde ihm gewährt.
Als der Priester gebracht wurde, erkannte der Kapitän sofort den Pater Martin in ihm. Dieser blieb am Eingange stehen, freudig erstaunt, so viele Europäer hier zu sehen, von deren Anwesenheit er auf eine glückliche Wendung seiner Lage schließen konnte. Als sein Blick auf den Kapitän fiel, schien er in seiner Erinnerung vergeblich nachzusuchen.
„Ich heiße Surcouf“, begann der Kapitän.
„Robert Surcouf! Kapitän Surcouf! Jetzt erkenne ich Sie trotz Ihres mächtigen Bartes und der sonnverbrannten Farbe. Kommen Sie in meine Arme, mein mutiger Wohltäter!“
Der Inhalt ihrer kurzen Unterredung läßt sich denken. Pater Martin war glücklich nach Italien entkommen und hatte dann Europa verlassen, um in Indien für die Bekehrung der Heiden tätig zu sein. Er erzählte in seiner schlichten Weise, daß er viel Ungemach überwunden habe, das Schlimmste aber sei ihm an Bord des ‚Eagle‘ widerfahren, wo man die heilige Religion gelästert und ihren Diener auf die
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