41 - Unter heisser Sonne
rücksichtsvollsten, höflichsten Tone:
„Ich wiederhole jedoch und behaupte nachdrücklich, daß derjenige Herrscher, welcher die ersten Dampfschiffe besitzt, in kurzer Zeit Herr der Meere sein wird. Einem solchen Erfolg gegenüber sind die Kosten einiger Versuche verschwindend klein zu nennen. Ich erinnere an Englands Haß gegen Frankreich. Wenn der Beherrscher der französischen Nation eine Dampferflotte besäße, so würde er in London den Engländern Gesetze vorschreiben können.“
Napoleon trat von dem Fenster, an welchem beide stehengeblieben waren, zurück und meinte in seinem kältesten Tone:
„Mon ami, ich pflege meine Chancen nicht dem Dampf anzuvertrauen. Ich sehe mich über Ihr Objekt vollständig informiert und muß mich ablehnend verhalten.“
Eine stolze verabschiedende Handbewegung sagte Fulton, daß die Audienz beendet sei.
Fulton ging. Er war um eine große Hoffnung ärmer geworden. Der Consul aber ahnte nicht, daß er als verbannter Kaiser einst dieser Stunde bedauernd gedenken würde.
Aber schon wenig über ein Jahr später sollte er an sie erinnert werden. Der unterdessen Kaiser gewordene Bonaparte hatte in der Nähe von Boulogne und außerdem bei Utrecht eine bedeutende Heeresmacht zusammengezogen, um in England zu landen. Infolgedessen wurde die Bewachung der französischen Häfen von den Engländern auf eine Weise verschärft, daß keinem französischen Schiffe das Entschlüpfen gelingen wollte. Außerdem kreuzten in den Frankreich begrenzenden Meeresteilen englische Flotten, welche jedes ihnen begegnende Fahrzeug anhielten und durchsuchten; war es ein Franzose oder hatte es für Frankreich geladen, so wurde es weggenommen. Diese Kalamität machte dem Marineminister ungeheuer zu schaffen; er hatte fast täglich Konferenzen mit dem Kaiser, die gewöhnlich mit beiderseitiger Erregung endigten.
Während einer dieser turbulenten Besprechungen, als eben wiederum die Rede von der strengen Blockade der sämtlichen Häfen war, sagte der Minister:
„In dieser Misere ist es eine um so größere Freude, zu erfahren, daß es doch noch Männer gibt, deren Mut und Geschicklichkeit der Aufmerksamkeit dieser britischen Seebären gewachsen ist.“
Der Kaiser blickte auf.
„Was ist's?“ fragte er. „Hat Hugues etwas getan?“
Admiral Hugues war nämlich einer von den wenigen französischen Seemännern, welche zuweilen glücklich operierten.
„Nein“; antwortete der Minister. „Es ist etwas anderes; es ist fast ein kleiner Seeroman.“
„Sprechen Sie, so wenig ich mich sonst für Romane interessiere!“
„Von dem englischen Geschwader des Commodore Dancy ist eine Fregatte auf Belle-Isle gegenüber Le Palais gelandet, um die kleinen Ortschaften der Insel zu beängstigen. Während die Mannschaften sich am Land befinden, kommt eine kleine Brigg herangesegelt, zeigt die englische Flagge, legt sich Seite an Seite mit der Fregatte, nimmt sie weg, zieht die französische Flagge auf und segelt davon. Am anderen Morgen kommt dieselbe Fregatte, hinter sich die Brigg mit niederhängender Flagge, als habe sie dieselbe genommen, ganz wohlgemut an das englische Blockadegeschwader vor Brest gesegelt; sie läßt ganz stolz vom hohen Top die englischen Farben wehen, und da ein jeder Kapitän die Fregatte kennt, so denkt man, sie sei von Commodore Dancy mit irgendeiner Botschaft an den Kommandanten des Geschwaders gesandt und habe unterwegs das französische Schiff genommen. Sie salutiert, und alle Schiffe des Geschwaders antworteten. Sie segelt das Flaggschiff an und tut, als wolle sie beidrehen; da aber plötzlich sinkt die englische Flagge und die französische fliegt empor, bei der Brigg ebenso. Beide jagen dem englischen Flaggschiff, einem Linienschiff von hundertundzwanzig Kanonen, die Kugeln einer Breitseite in den Riesenleib, strengen im Nu alle Segel an und kommen glücklich unter den Schutz der Batterien von Le Goulet (die enge Einfahrt in die Reede von Brest). Die Engländer, welche natürlich sich zur schleunigen Verfolgung aufgemacht hatten, wurden von den Kugeln der Batterien gezwungen, umzukehren.“
Die Augen des Kaisers leuchteten.
„Das ist ein Heldenstück, an das man nicht glauben kann!“ rief er.
„Sire, ich erzähle eine Tatsache!“
„Ich selbst bin allerdings Zeuge eines ähnlichen Heldenstücks gewesen. Ein ganz junger Seemann nahm ein englisches Fahrzeug und segelte damit ganz offen durch die Flotte des Admirals Hood. Dieser Mann hieß Robert Surcouf und ist derselbe,
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