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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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auch ein Auge fehlte, so gab es leider wenige, die sie freiwillig für eine Schönheit halten wollten. Eine echte Amerikanerin ist aber niemals verlegen, also auch dann nicht, wenn es sich darum handelt, einen Mann zu bekommen.
    Sie lud also eines schönen Abends einige Freunde und Freundinnen ein, darunter einen gewissen Master Wallot, der zwar viel Geld, aber wenig Kopf besaß. Es wurde manche Tasse Tee und auch manches Glas heißer Whisky getrunken, und als nun Master Wallot bemerkte, daß die Stube anfing, um ihn herum zu tanzen, da begann man ein allerliebstes Gesellschaftsspiel, welches darin bestand, daß ein jeder seiner Nachbarin zur Rechten einen Heiratsantrag machen mußte. Da nun die lange Miß zur Rechten des guten Master Wallot saß, so begann er mit zartem Ausdruck:
    „Miß, ich liebe Sie!“
    „Ist dies wahr, Master?“
    „Ja, hol mich der Teufel!“
    „Wünschen Sie etwa, daß ich Sie wiederliebe?“
    „Natürlich!“
    „Warum denn?“
    „Nun, Donnerwetter, weil ich die Absicht habe, Sie zu heiraten!“
    „Ist dies Ihr Ernst, Sir?“
    „Das versteht sich.“
    „Sie behaupten das vor diesen Zeugen?“
    „Na, Sie hören es ja.“
    „Und werden Sie es mir auch schriftlich geben?“
    „Jawohl, wenn es verlangt wird. Es ist mir ganz egal, ob ich meine Frau schriftlich oder mündlich bekomme.“
    „So schreiben Sie einmal hierher, Sir, was ich Ihnen diktiere.“
    Sie legte ihm Papier, Tinte und Feder vor und diktierte:
    „Ich, David Jonathan Wallot, Esq. bescheinige hiermit, daß ich Miß Ella Wardon heiraten oder ihr eine Entschädigung von fünftausend Dollar sofort zahlen werde.“
    Der brave Wallot schrieb, und die Miß steckte das Papier zu sich. Auch die anderen taten so. Als nun am anderen Morgen der Master noch im Bett lag und sich vergebens darauf zu besinnen versuchte, was er gestern im Rausch getan hatte, ging die Tür auf, und die Miß trat ein. Sie trug ein carmoisinseidenes Kleid und zwei neue Federn auf dem Hut, ein sicheres Zeichen, daß sie im Begriff stehe, irgendeine Feierlichkeit zu begehen.
    „Guten Morgen, Sir“, grüßte sie.
    „Guten Morgen, Miß“, antwortete er. „Aber, zum Teufel, Miß, wie kommt es denn, daß Sie so einen alten Junggesellen in seiner Morgenandacht stören?“
    Sie schwebte zu ihm hin, streckte ihm mit ihrem süßesten Lächeln die zehn Finger entgegen und antwortete:
    „Weil wir doch ausgemacht haben, unsere beiderseitige Andacht heute zu vereinigen.“
    „Zu vereinigen?“ fragte er.
    „Das versteht sich. Ich habe bereits die Zeugen bestellt.“
    „Die Zeugen? Alle Wetter! Wollen Sie mich etwa verklagen?“
    „Das weniger. Eine Hochzeit ist doch kein Klagetermin.“
    „Hochzeit? Wollen Sie etwa Hochzeit machen?“ fragte er verblüfft.
    „Ja.“
    „Sie sind nicht gescheit! Wer ist denn dieser Es… dieser Glückliche, wollte ich sagen?“
    „Fragen Sie doch nicht, lieber Wallot. Die Liebe soll zwar keusch und zurückhaltend sein, aber so nahe vor der Hochzeit kann man schon gestehen, daß man ohne den süßen Gegenstand nicht leben kann.“
    „Süßer Gegenstand? Der Teufel soll mich holen, wenn ich eine Ahnung habe, ohne welchen süßen Gegenstand ich nicht leben kann!“
    Da sah sie ihn groß an, stieß einen langen, schmerzlichen Seufzer aus, der durch alle Molltonarten pfiff, und sank auf sein junggesellig hartes Sofa. Dort umwand sie ihr Gesicht mit einem neuen Taschentuch und begann eine Reihenfolge von Gurgeltönen auszustoßen, die dem Master im Zweifel ließen, ob die Miß schluchze oder an Magendrücken leide. Er sprang auf und fragte:
    „Aber Miß, ich begreife Sie nicht!“
    „Nein, ich bin es, die Sie nicht begreift!“ lautete die Antwort. „Lesen Sie dieses Schreiben!“
    Sie entfaltete den gestrigen Bogen und las ihm dessen Inhalt vor.
    „Aber das war ja ein Spaß!“ rief er ganz erstarrt aus.
    „Ein Spaß?“ fragte sie mit schmerzlicher Würde. „Ich habe Sie vor zwölf Zeugen gefragt, ob es Ihr Ernst ist – und Sie haben es bejaht.“
    „Alle Teufel! Wollen Sie mich etwa zwingen, Sie nun zu heiraten?“
    „Zu heiraten oder Entschädigung zu zahlen.“
    „So bitte, spazieren Sie gefälligst hinaus.“
    Er öffnete die Tür. Sie warf ihm einen hoheitsvollen Blick in das Gesicht und ging. Nach einer halben Stunde aber wurde er arretiert, denn in Amerika nimmt man es mit einem solchen Versprechen ernst. Man stellte ihm die Wahl, sofort zu heiraten oder sofort fünftausend Dollar zu zahlen, und da es ihm

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