42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
so erzählt!“
„Sogleich!“
Derjenige, welcher erzählen sollte, war ein Amerikaner, folglich schnitt er sich erst ein Priemchen zurecht, etwa drei Zoll lang, und steckte es zwischen die Zähne; dann schob er es einige Male aus dem rechten in den linken und wieder aus dem linken in den rechten Backen, und nun erst begann er seinen Bericht.
„Das war nämlich vor fünf Tagen, und zwar auf der Höhe von Kap Roca. Wir hatten einen steifen Nordwester und mußten uns Mühe geben, vom Land zu bleiben. Während der Nacht bemerkten wir einen Feuerschein Süd bei West; ich ließ also vom Kurs fallen und hielt auf die Richtung hin. Gegen Morgen erreichten wir die Stelle. Was meint Ihr wohl, was wir sahen?“
„Ein brennendes Schiff!“ erriet einer mit großer Klugheit.
„Ja. Es war ein Franzose, der ‚Aveugla‘ von Brest. Er war fast bis auf den Kiel niedergebrannt, und zu retten gab es da nichts mehr. Eben wollten wir uns aus dem Staub machen, als wir einen großen Hühnerkorb bemerkten, an dem ein Mann hing.“
„War er noch lebendig?“
„Ja. Wir fischten ihn auf und nahmen ihn ein. Er erzählte uns die Geschichte. Sie waren gegen Abend von einem Schiff angesegelt worden, kein Orlogschiff, sondern ein schlanker Schoner mit vollständig schwarzem Segelwerk. Er hatte die rote Flagge gezogen und befohlen, sich zu ergeben. Das hatte der Franzose nicht getan. Darauf demaskierte der Fremde seine Kanonen und ließ sie spielen. Nach zehn Minuten enterte er und kam an Bord. Es wurde alles Lebende totgeschlagen; nachher lud man das Wertvollste über und brannte endlich das Fahrzeug an.“
„Und der Matrose, den Ihr auffischtet?“
„Es war ihm gelungen, sich gut zu verstecken. Als er es vor Hitze nicht mehr aushalten konnte, warf er den Korb in See und sprang nach. So fanden wir ihn.“
„Verdammt! Wer mag der ‚Schwarze‘ sein?“
„Ob es der ‚Lion‘ ist, Kapitän Grandeprise?“
„Sicherlich kein anderer!“
„So kann man sich in acht nehmen. Dieser ‚Lion‘ soll ein Schnellsegler ohnegleichen sein.“
„Und dieser Grandeprise ein Spitzbube wie kein zweiter.“
„Und diejenigen, welche sich vor ihm fürchten, sind Hasen ohnegleichen!“
Diese letzten Worte hatte Mynheer Dangerlahn gesagt.
„Glaubt Ihr das wirklich?“ fragte sein Nachbar, der eine sehr scharfe amerikanische Physiognomie besaß und den Holländer mit einem Schlangenblick nur so anleuchtete.
„Ja“, antwortete dieser einfach. „Ihr könnt es wissen, Kapitän Henrico Landola, daß ich nur immer das sage, was ich denke und glaube.“
„So will ich Euch nicht wünschen, daß Ihr dem ‚Schwarzen‘ begegnet!“
„Oder ihm nicht, daß er mir begegnet“, meinte der Holländer mit gemütlichem Lächeln.
„Ich glaube doch, daß Ihr verloren wäret!“ sagte der spanische Kapitän wie im Zorn.
„Warum, Señor?“
„Eure ‚Jeffrouw Mietje‘ segelt schwerfällig. Ihr würdet ihm wohl nicht entkommen.“
„Wißt Ihr, ob ich ihm entkommen will?“
„Pah, es ist das beste für Euch!“
„Hm!“
Bei diesem ungläubigen Hüsteln wurde der Spanier noch eifriger. Er sagte:
„Habt Ihr etwa Kanonen an Bord?“
„Kanonen?“ fragte der Holländer erstaunt. „Ist meine ‚Jeffrouw‘ etwa ein Panzerschiff, daß ich sie mit Kanonen armieren muß? Wir haben tüchtige Handspeichen an Bord; das ist genug.“
„Hochmut kommt vor den Fall; merkt Euch das, Mynheer!“
„Gut, werde es nicht vergessen!“
Bei diesen Worten erhob sich Mynheer Dangerlahn. Es war ihm anzusehen, daß ihm das Gespräch und auch die Nachbarschaft des Spaniers nicht gefielen. Er trank aus und ging. Als er am Buffet vorüberschritt, beugte sich Mutter Dry hervor und fragte:
„Wird Jeffrouw Mietje kommen, Mynheer?“
„Ja“, antwortete er.
„Wann?“
„Sogleich!“
Damit ging er mit den langsamen, würdevollen Schritten eines holländischen Schiffseigentümers und Seekapitäns zur Tür hinaus. Am Strand fand er sein Boot und ließ sich in demselben nach dem Schiff rudern. Als er an Bord kam und das Quarterdeck betrat, warf er einen Blick auf seine Frau. Sie sah ihn fragend an, und er antwortete nickend. Diese beiden Leute verstanden sich ohne viele Worte. Er hatte mit seinem Nicken gemeint, daß er meine, sie könne nun Ihre Freundin aufsuchen. Ganz hinten am Stern lehnte ein junger Mann, der vielleicht dreißig Jahre zählen mochte. Er war sehr hoch und stark gebaut, hatte ein ehrliches, offenes Seemannsgesicht und war der erste
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