42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
streckte ihm die Hand entgegen, nahm den Hut vom Kopf und sagte mit vor Rührung unsicherer Stimme:
„Du bist ein tüchtiger Kerl, Kurt. Schau her. Ich nehme den Filz vor dir ab, mein Junge. Willst du mir den albernen Grünschnabel vergeben?“
Da glitt es sonnenhell über das offene Gesicht des Knaben; er schlug ein und antwortete:
„Ja, Ludewig. Komm her; ich gebe dir einen Kuß, denn ich habe dich lieb. Und nun sollst du mir auch den Bruch aufstecken!“
Das geschah, und Kurt setzte den Hut ungefähr mit derselben Miene auf, mit welcher sich ein Kaiser bei einer hohen Festlichkeit die Krone auf den Kopf setzt.
„Und nun habe ich noch etwas“, sagte er.
„Was denn?“
„Der Fuchs ist mein; den trage ich mir selbst nach Hause.“
„Oho, du bist zu klein und schwach dazu!“
„Ich! Was fällt dir ein. Es darf ihn kein anderer tragen! Versteht ihr mich!“
Zum Beweis, daß er nicht zu schwach sei, faßte er den Fuchs bei den Hinterläufen und hob ihn empor.
„Na gut, wir wollen es versuchen“, erklärte Ludewig. „Du hast auch diese Auszeichnung verdient, und wenn es dir zu schwer wird, so nehmen wir ihn dir ab.“
„Daraus wird nichts!“ erwiderte der Knabe. „Ich gehe allein nach Hause.“
„Das geht nicht, mein Junge. Es ist zu weit.“
„Bin ich etwa nicht hierhergelaufen? Oder denkst du, daß ich den Weg nicht kenne?“
„Du kennst ihn, Kleiner. Aber der Fuchs ist schwer; du bringst ihn nicht bis nach Hause.“
„So ruhe ich mich aus.“
„Hm“, brummte Ludewig, der recht gut begriff, weshalb der Knabe seinen Weg ganz allein gehen wollte. Er konnte da seinen jagdstolzen Gedanken besser nachhängen und recht ungestört über den Triumph nachdenken, den er heute sich erworben hatte. „Hm. So ganz unrecht hast du nicht. Na, wir wollen es versuchen. Mir ist es recht, wenn du allein gehst; dann können wir andern inzwischen einen Gang nach der Krähenhütte machen. Ich will dir den Fuchs zusammenbinden und um die Schulter hängen. Ich freilich, Donnerwetter, ich habe die Ehre, die tote Waldina nach Hause zu schleppen und dann die Grabrede anzuhören, die ihr der Herr Hauptmann halten wird.“
Er band die vier Läufe des Fuchses zusammen und hing das Tier dem Knaben so über, daß es ihm nicht gar zu schwer werden konnte. Dann meinte er schmunzelnd:
„So, Junge, nun steig mit deinen Lorbeeren heim. Das ist dein erster Fuchs, den du geschossen hast, und ich hoffe, daß es mein letzter Bock ist. Zeit genug wäre es wahrlich dazu!“
Er nahm den toten Hund auf und schritt mit den Gefährten davon. Der Knabe stand da und blickte ihnen nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte; dann drehte er sich mit einem raschen Ruck um und schritt davon. Er war hier bekannt; er kannte fast jeden einzelnen Baum und brauchte also keine Sorge zu tragen, irre zu gehen. Er befand sich in einer so gehobenen Stimmung, daß er die Last des Fuchses gar nicht fühlte, obgleich ihm bereits nach kurzer Zeit der Schweiß von der Stirn herab über die Wangen lief. Es ging zwar langsam vorwärts, und als er die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, mußte er einmal ausruhen, aber das schadete ja nichts.
Er hatte höchstens noch zehn Minuten zu gehen, als er im Begriff stand, aus einem Buchenstand heraus auf den freien Weg zu treten. Da hörte er Schritte und stand auch bald vor einem Mann, welcher wie in Gedanken versunken den Weg dahergeschritten kam. Der Mann war fremd, er hatte eine ungewöhnlich hohe und stark gebaute Figur und trug einen langen Reisemantel. Kurt blieb stehen, blickte forschend an ihm empor und sagte streng: „Halt! Was hast du hier zu suchen?“
Er hatte diese Frage oft gehört, wenn er mit Ludewig durch den Wald gestreift war und dieser irgendeinen Fremden oder eine Holzfrau getroffen hatte. Heute war zwar Ludewig nicht dabei, aber dieser Mann war ja fremd, und Kurt hatte einen Fuchs geschossen, war also nach seiner Meinung gerade ebensoviel wert wie Ludewig. Der Fremde blickte den Knaben erst erstaunt und dann mit einem herzlichen, wohlwollenden Lächeln an und antwortete:
„Sapperlot, wie hast du mich erschreckt. Das klingt ja gerade, als ob du der Herr Oberförster seist!“
Der Knabe rückte den Fuchs zurecht, stellte sich in eine imponierende Positur und sagte:
„Da fehlt auch nicht viel daran!“
„Oho!“
„Ja, es ist geradeso gut, als ob dich der Herr Oberförster selber fragt. Was willst du hier?“
Das Lächeln des Fremden war jetzt bereits mehr bewundernd als
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