42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
gibt; wir wohnen sogar in einem Haus, und doch sind wir uns fremder noch als fremd. Das ist Ihr Wille, und ich respektiere ihn, warum also diese Scheu, diese Angst vor mir?“
Der Ton seiner Stimme und der Blick seines Auges drangen ihr doch zu Herzen. Sie streckte ihm zur Abbitte die Hand entgegen und sagte:
„Verzeihen Sie mir und rücken Sie mir näher. Ich meinte es nicht böse!“ Er schüttelte leise mit dem Kopf, blieb auf seinem Platz und antwortete mit trübem Lächeln:
„Ich danke, Fräulein. Ich möchte nicht um ein Almosen gebeten haben. Ich habe Sie nie beleidigt und Sie wissentlich auch nie gekränkt; dennoch fliehen Sie mich. Ich kann nur annehmen, daß Sie von einem unüberwindlichen Vorurteil gegen mich eingenommen worden sind. Dagegen läßt sich ja nichts tun; aber ich halte es für meine Pflicht, Ihnen ein aufrichtiges Wort zu sagen, welches nur den einzigen Zweck hat, Sie zu beruhigen.“
„Sprechen Sie“, bat sie in gedrücktem Ton.
Er schwieg ein kleines Weilchen, wobei er den Blick hinaus auf den kleinen Balkon gerichtet hielt, als getraue er es sich nicht, sie in diesem Augenblick anzusehen. Und wahrlich, das, was er ihr jetzt sagen wollte, wäre ihm doppelt schwergefallen, wenn er das Auge nicht von ihr gewendet hätte.
Sie war keine imposante, gebieterische Figur, aber sie war dennoch eine ungewöhnliche Schönheit, eine jener feinen, ätherischen Schönheiten, deren Macht in der Lieblichkeit und Harmonie zu suchen ist, die sie besitzen. Es lag eine Holdseligkeit über sie ausgegossen, welche unmöglich zu beschreiben ist.
Endlich unterbrach er die Pause und begann, aber ohne auch jetzt sein Auge auf sie zu richten:
„Ich bin ein Kind der Armut, mein Fräulein; die Stellung, welche ich einnehme, ist eine gewöhnliche, was ich bin, bin ich durch eigene Anstrengung und unter den härtesten Entbehrungen geworden. Mir hat nie des Lebens Sonne gelacht, aber ich hoffte, daß ihr Strahl mich endlich doch auch einmal erreichen werde. Ich sah diesen Strahl hier in diesem Haus; ich sehe ihn auch jetzt noch, aber er gleitet an mir vorüber. Dieser Sonnenstrahl sind Sie!“
Es war unmöglich, diese in so resigniertem Ton gesprochenen Worte zu hören, ohne gerührt zu werden. Er fuhr sich mit der kleinen, fast frauenhaften Hand über die Stirn, wie um einen Schmerz dort zu verjagen, und fuhr dann in demselben Ton fort:
„Ja, ich liebe Sie, liebe Sie seit dem Augenblick, an welchem ich Sie zum ersten Mal sah, aber diese Liebe hat ihre selbstischen Wünsche längst aufgegeben. Ich werde einsam durch das Leben gehen, so, wie es bisher gewesen ist. Ich denke an Sie wie an einen Stern, den ich erblicke, ohne ihn erreichen zu können, und dieser Stern werden Sie mir bleiben mein ganzes Leben hindurch. Ich möchte ihn stets hell und heiter strahlen sehen; ich möchte jede Wolke von ihm fernhalten; das ist der einzige Wunsch, den ich hege. Darum komme ich mit der Bitte, daß Sie an mich denken möchten wie an einen Freund, der nichts von Ihnen verlangt, kein Wort, keinen Blick, nichts, gar nichts, als nur das einzige, daß Sie sich seiner erinnern mögen, wenn Sie hier im fremden Land einmal des Beistandes bedürfen.“
Erst jetzt wanderte sein Blick vom Balkon zu ihr herein, und er fragte:
„Wollen Sie mir diesen Wunsch erfüllen?“
Es standen ihr die Tränen in den Augen; sie faltete die Hände und antwortete:
„Herr Sternau, zürnen Sie mir nicht! Ich will Ihnen offen gestehen, daß ich Ihr stilles, wortloses Werben vom ersten Augenblick an verstanden habe; ich prüfte mich; ich achtete Sie, achtete Sie sehr hoch und wollte sehen, ob es mir möglich sei, Sie auch zu lieben. Es war mein Wunsch, Sie lieben zu können, aber ich habe gefühlt und erkannt, das dies unmöglich ist.“
Er nickte traurig mit dem Kopf.
„Ich wußte es“, sagte er, „aber einen Augenblick der Aufrichtigkeit mußte es doch einmal geben. Das ist nun vorüber, und wir wollen es begraben. Wir können nun von anderem sprechen. Ich komme von Salmonno, mit dem ich Ihretwegen eine kleine Szene hatte.“
„Meinetwegen!“
„Ja. Sie kennen seinen Geiz –“
„Wer kennt diesen nicht! Ich glaube, es wird mir nicht leicht werden, die Rechte zu wahren, welche mir hier zustehen.“
„Das ist's ja, worüber er mit mir sprach. Er mutete mir nämlich zu, Ihnen zu sagen, daß Sie noch heute oder spätestens morgen dieses Haus verlassen möchten.“
„Und Sie taten es?“
„Nein, ich wies ihn natürlich zurück,
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