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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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komme aber trotzdem, um Sie zu warnen. Er wird jedenfalls nächstens mit Ihnen sprechen.“
    „Ich erwarte es.“
    „Er wird Ihnen Ihr Gehalt nicht auszahlen wollen.“
    „Das wäre traurig. Ich habe ja gerade darum die Heimat verlassen, weil mir hier in der Fremde ein höheres Gehalt geboten wurde, mit welchem es mir möglich ist, meine armen Eltern zu unterstützen; denn ich bin ein Kind der Armut – genau ebenso wie Sie, Herr Sternau.“
    „So bitte ich Sie, von Ihrem Recht um keinen Zollbreit zu weichen, und sollte er Sie nicht hören wollen, so kommen Sie zu mir. Ich habe mir einen gewissen Einfluß bei ihm erworben, den ich sehr gern zu Ihren Gunsten in Anwendung bringen werde. Das ist es, was ich Ihnen sagen mußte. Und nun leben Sie wohl, Fräulein Wilhelmi!“
    Er erhob sich, verbeugte sich vor ihr und schritt nach der Tür, ohne den Versuch zu machen, ihr die Hand zu reichen. Das schnitt ihr in das Herz; das tat ihr leid und weh, und zugleich imponierte ihr diese eiserne Willenskraft, welche die heißesten Wünsche des Herzens zu bemeistern und die aufsteigende Tränenflut zurückzudrängen vermochte. Sie eilte ihm nach und streckte ihm beide Hände hin.
    „Nicht so, nicht so ohne Abschied!“ bat sie. „Geben Sie mir wenigstens eine Hand, und sagen Sie mir, daß Sie mir nicht bös sind.“
    „Ich bin Ihnen nicht bös“, sagte er monoton und nahm ihre Hände leise in die seinigen.
    Sie erschrak. Seine Hände waren kalt wie Eis; sie fühlten sich an wie die Hände einer Leiche. Aber seine Lippen zuckten, und seine Augen wurden dunkel und dunkler. Er rang mit sich und mußte alle Kräfte aufbieten, sein Weh niederzukämpfen. Das konnte sie nicht mit ansehen. Sie legte die Arme um ihn, blickte in seine jetzt überquellenden Augen und sagte:
    „Bitte, bitte, weinen Sie nicht! Hoffen Sie! Vielleicht kommt die Zeit, daß Ihr Wunsch Erhörung finden kann!“
    Er schüttelte den Kopf.
    „Niemals!“ sagte er. „Die Liebe läßt sich nicht zwingen. Die Liebe ist keine Bettlergabe; sie flammt empor und ist da, allmächtig und unwiderstehlich. Adieu, Fräulein Wilhelmi!“
    Er ging. Sie blieb zurück, mitten im Zimmer stehend. Sie legte die Hände auf ihre Brust. Ihr Puls ging ruhig wie immer.
    „Warum kann ich ihn nicht lieben?“ fragte sie. „Er wäre meiner Liebe ja so wert!“
    Da erschollen lautes Geschrei und fröhliches Lachen von der Straße herauf. Sie trat hinaus auf den Balkon und sah, daß das Treiben des Karnevals begonnen hatte. Die Straße belebte sich mit Masken, welche unter allerlei tollen Späßen auf und ab wanderten, und die Fenster und Balkone füllten sich mit Damen, welche diesem Treiben zusahen und sich an den Scherzen von oben herab beteiligten. Das war ein geeignetes Mittel, die trübe Stimmung des Herzens zu verscheuchen. Die Gouvernante trat hinaus auf den Altan und blickte in das immer reger und dichter werdende Gewühl der Masken hinab.
    Unterdessen war Gasparino Cortejo zu seinem ‚Cousinchen‘ gegangen. Clarissa Margony bewohnte ein allerliebstes kleines Logis im Haus eines Produktenhändlers. Sie schien den Kommenden erwartet zu haben, denn sie kam ihm bis an die Treppe entgegen, wo sich beide mehr als herzlich umarmten. Sie befand sich im tiefsten Negligé, ihre üppigen Formen waren nicht nur zu fühlen, sondern sogar zu sehen, doch hatte ihr nichtssagendes Gesicht einen Ausdruck, welcher die Wirkung dieser so billigen Reize paralysierte.
    „Endlich, endlich, mein teurer Gasparino!“ sagte sie, als er bei ihr im Zimmer stand. „Du hast mich lange warten lassen.“
    „Ich konnte nicht eher. Man hat Pflichten.“
    „Pflichten?“ fragte sie mit widerwärtiger Zärtlichkeit. „Deine größte und einzige Pflicht ist doch, mich glücklich zu machen!“
    „Das bist du ja bereits. Nicht?“
    „Nur solange ich dich bei mir habe, mein Gasparino. Komm an mein Herz, du Teuerster!“
    Sie wollte ihn abermals umarmen, er aber wehrte sie von sich ab und sagte:
    „Laß jetzt! Ich habe zu tun.“
    „Was denn? Ah, einen Maskenanzug!“
    Sie klatschte in die großen Hände und untersuchte das Paket.
    „Oh, wie herrlich!“ rief sie. „Ein Mexikaner! Welch eine Überraschung. Ich danke dir!“
    Sie warf sich ungestüm an seine Brust, drückte ihn an sich und küßte ihn wiederholt.
    „So laß doch“, meinte er, sie von sich drängend. „Dazu ist keine Zeit vorhanden.“
    „Keine Zeit? Ja, ja, du hast recht! Auch ich muß eilen, daß ich fertig werde.“
    „Du?“

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