42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
zuviel Knochen!“
Diese wegwerfenden Worte waren so laut gesprochen, daß Clarissa sie hören mußte; sie waren jedenfalls nicht geeignet, ihm ihre Liebe und Zuneigung zu erringen. Dann fragte er leise.
„Du hast ihr doch nicht gesagt, wer ich bin?“
„Nein“, log der Haushofmeister.
„Gut! Bist du fertig?“
„Ja, bis auf die Larve.“
„So lege sie an und komm!“
Sie verließen das Haus und warfen sich unten in das Gewühl der Masken. Der reiche Anzug des Herzogs erregte die allgemeine Aufmerksamkeit, doch hätte niemand unter demselben einen so hohen Würdenträger vermutet, denn er benahm und gab sich ganz so wie der ungebildetste Wasserträger oder Melonenhändler. Er machte selbst die rohesten Scherze mit, sprang in die geöffneten Türen der Häuser, drang in die Wohnräume, die zu dieser Zeit einer jeden Maske offenstehen, und brachte Aufruhr und Verwirrung überall da hin, wo er erschien.
So kamen sie durch verschiedene Straßen und Gassen über die Brücke hinüber, wo sie ihre überlustigen Streiche fortsetzten. Da, einmal, blieb er stehen und blickte nach einem Balkon empor.
„Donnerwetter!“ raunte er Cortejo zu. „Blicke einmal da hinauf!“
„Wohin?“
„Nach dem kleinen Balkon.“
„Ah! Ja, die ist fein!“
„Fein! Pah, das ist viel zuwenig! Das ist ein wirkliches Madonnengesicht, so hold, so rein, so ernst. Die müßte man kennenlernen! Die müßte man zu erobern versuchen!“
„Hm! Bei dieser würde man, wie es scheint, mit Späßen nicht weit kommen!“
„So versucht man es anders. Schau, jetzt sieht sie uns!“
Es war die Gouvernante. Ihre reine, keusche Weiblichkeit hatten sogar diese Wüstlinge auf den ersten Blick erkannt. Der Herzog warf ihr eine Kußhand empor. Sie bemerkte es und erglühte. Er trug eine Kleidung im Wert von Tausenden; er war kein gewöhnlicher Mann, das sah sie, und welches Mädchenherz schlägt nicht höher, wenn es das Auge eines bevorzugten Mannes bewundernd auf sich gerichtet sieht. Halb bewußt und halb unbewußt nahm sie die seidene Schleife von ihrem züchtig verhüllten Busen und warf sie ihm herab. Sie flatterte in unregelmäßigen Kreisen hernieder, doch gelang es dem Herzog, sie zu erhaschen. Er küßte sie und steckte sie an seine Brust. Die Gouvernante errötete bis zum Nacken herab und zog sich beschämt vom Balkon zurück.
„Donnerwetter, diese muß mein werden!“ sagte der Herzog. „Sie ist unwiderstehlich.“
„Gehen Sie hinauf?“
„Ja.“
„Ich mit?“
„Nein. Du würdest mir alles verderben, du Bär. So eine Blume muß mit Zartheit angefaßt werden. Spaziere einstweilen hier auf und ab, daß ich dich dann wiederfinde!“
Er betrachtete sich die Fenster des Hauses, um sich im Innern desselben zurechtfinden zu können, und trat dann ein, stieg die Treppe empor und klopfte an die Tür, hinter welcher er die Gesuchte vermutete. Ein leises, fast ängstliches „Herein!“ ertönte, und er öffnete die Tür.
Als sie ihn erblickte, stieß sie einen Ruf des Schreckens aus und wollte in das Nebenzimmer entfliehen. Aber schon stand er bei ihr und hielt sie an der Hand fest.
„Halt, schöne Dame, entweiche mir nicht!“ bat er mit dem sanftesten Ton seiner Stimme.
„Mein Gott, lassen Sie mich!“ flehte sie angstvoll. „Wenn man Sie hier entdeckte, mein Herr!“
„Was könnte man sagen? Es ist heute Karneval und Maskenfreiheit!“
„Aber für mich nicht!“
„Für jede Dame!“
„Ich bin hier fremd; ich bin hier in untergeordneter Stellung!“ sagte sie in ihrer Herzensangst.
„Das ist gleich, du schönes Kind! Wem gehört dieses Haus?“
„Dem Bankier Salmonno.“
„Ah, diesem Hamster, diesem Zerberus! Und bei ihm bist du? Bei ihm wohnst du?“
„Ja.“
„Als was?“
„Als Gouvernante.“
Er jubelte im Innern auf, denn einer armen Gouvernante gegenüber hielt er sein Spiel für gewonnen. Er zog sie also mit seiner unwiderstehlichen Körperkraft an sich und flüsterte:
„Oh, wie habe ich dich so lieb! Ich sehne mich, daß du die Meine wirst.“
„Lassen Sie mich!“ bat sie dringend.
Er aber hielt sie fest und küßte sie.
Da wand sie sich unter zornigen Tränen in seinen Armen und rief empört:
„Welch eine Frechheit! Gehen Sie, sonst rufe ich um Hilfe!“
„Rufe, mein Täubchen! Heute dürfen die Masken tun, was ihnen beliebt. Weißt du das?“
Wieder wollte er sie küssen; da wand sie den Kopf aus seinen Händen und rief, so laut sie konnte:
„Herr Sternau, zu Hilfe, zu
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