42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
vergrößern suchen?“
Sie errötete. „Die Gehälter, die ich bisher bezog“, sagte sie, „waren leider nicht so hoch, daß es mir möglich gewesen wäre, hinreichende Ersparnisse zu machen.“
„Sie sprechen das Spanische ziemlich fehlerlos. Welcher Sprachen sind Sie sonst noch mächtig?“
„Des Englischen und Französischen. Latein habe ich so viel getrieben, daß ich wenigstens einen Anfänger nebenbei mit unterstützen kann.“
„In Beziehung auf Musik?“
„Ich spiele Piano und singe sehr gern.“
„Ich habe nicht die Absicht, Sie zu examinieren, Señorita, werde Sie also nach den Wissenschaften gar nicht fragen –“
„O bitte“, unterbrach sie ihn. „Ich trage mein Abgangszeugnis bei mir. Wenn Sie die Güte haben wollten, wenigstens in dieses einen Blick zu werfen.“
„Ich bin des Deutschen nicht mächtig.“
„Es ist auf französisch und englisch abgefaßt.“
„So zeigen Sie her, wenn es Ihnen Beruhigung gewährt.“
Sie reichte ihm das Dokument entgegen. Er wollte es nur mit einem flüchtigen Blick überlaufen, nahm aber doch genauere Einsicht, da ihm die hohen Ziffern auffielen, welche er erblickte. Dieses Mädchen hatte wahrhaftig in jedem Fach die Eins erhalten. Und so ein reich begabtes Mädchen sollte hier einem moralischen Untergang entgegengeführt werden.
„Ah, das ist wirklich erstaunlich!“ sagte er. „Solche Zeugnisse sind selten, Señorita, ich werde keine weitere Frage an Sie richten, sondern ich bitte Sie, mir einmal zu folgen, um sich die Räume zu besichtigen, welche der Erzieherin zu Verfügung stehen.“
Sie erhoben sich beide.
Er gab ihr die Zensur zurück und führte sie zunächst nach dem Kinderzimmer, wo sich die kleine Prinzeß unter der Aufsicht einer Bonne befand. Diese letztere warf einen gehässigen Blick auf die Deutsche, welche einen freundlichen Gruß ausgesprochen hatte.
„Das ist Prinzeß Flora“, sage Cortejo. „Prinzeß, begrüßen Sie diese Dame, welche gekommen ist, Ihnen viel Gutes zu zeigen und zu lehren.“
Die Tochter des Herzogs war ein allerliebstes Kind, dem man sofort gut sein mußte.
„Sie sind wohl eine Gouvernante?“ fragte sie mit einer für ihr Alter überraschenden Verständigkeit.
„Ja, meine liebe Doña Flora“, antwortete die Deutsche.
„Ich liebe die Gouvernanten nicht!“
„Schweigen Sie, Prinzeß!“ gebot die Bonne in drohendem Ton.
„Und die Bonnen liebe ich auch nicht“, fügte die Kleine herzhaft hinzu.
„Warum?“ fragte die Deutsche.
„Weil sie mich auch nicht lieben.“
Da kauerte sich die Gouvernante nieder, erfaßte die Händchen des Kindes und fragte:
„Würden Sie auch mich nicht lieben, Doña Florita?“
„Sie!“ sagte das Kind nachdenklich. „Oh, Sie würde ich vielleicht gern haben!“
„Warum?“
„Weil Sie mich so gut ansehen, weil Ihre Augen so freundlich sind, und weil Sie gleich Florita anstatt Flora sagen, was die anderen gar nicht tun.“
„Ich möchte gern bei Ihnen bleiben, Florita“, sagte sie herzlich, das Kind näher an sich ziehend.
„Warum?“
„Weil ich Sie lieb habe; weil ich wünsche, Sie immer recht gut und fröhlich zu sehen.“
Da schlang die Kleine die Ärmchen um den Hals der Gouvernante und fragte:
„Würden wir auch manchmal miteinander lachen?“
„O sehr viele Male! Ich lache gern.“
„Ich auch, aber ich darf immer nicht. Ja, bitte, bleiben Sie da bei Ihrer kleinen Florita! Ich werde Papa sagen, daß ich Sie haben will.“
Die Bonne stand dabei mit einem höchst grimmigen Gesicht. Sie ärgerte sich darüber, daß diese Fremde die Liebe des Kindes im Flug gewann, wagte aber nicht, eine gehässige Bemerkung zu machen.
Jetzt führte Cortejo die Gouvernante durch die weiteren Räume und endlich auch in die für sie bestimmte Wohnung, welche aus drei Zimmern bestand. Die Gouvernante musterte die Einrichtung mit Erstaunen; es hätte eine Herzogin hier wohnen können. Sie fühlte sich von der hier überall hervortretenden Üppigkeit sehr unangenehm berührt, gab aber diesem Gefühl keinen Ausdruck.
„Nun sind wir mit unserem Rundgang zu Ende, Señora“, sagte der Haushofmeister, „und wollen, wenn Sie erlauben, unsere Entscheidung treffen.“
„Ich stehe Ihnen zur Verfügung.“
Sie setzten sich beide nieder.
Die Deutsche ahnte nicht, daß das Gemach nur durch eine Tapetenwand von der Wohnung des Herzogs getrennt war und daß dieser hinter der Wand stand, um sie durch ein in der Tapetenzeichnung gut verborgenes Loch zu
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