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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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und dessen Ausstattung den feinsten künstlerischen Geschmack verriet. Sie nahm Platz und wartete. Da öffnete sich die Portiere, und Cortejo trat ein.
    Sie erhob sich und wechselte mit ihm eine tiefe, schweigsame Verbeugung. Er winkte ihr vornehm mit der Hand, wieder Platz zu nehmen, und setzte sich ihr gegenüber in ein Fauteuil.
    „Sie wurden mir als Fräulein Wilhelmi gemeldet?“ fragte er mit dem angenehmsten Ton seiner Stimme.
    Sie verbeugte sich bejahend.
    „Sie sind dieselbe Dame, welche die Güte hatte, infolge unserer Annonce ihre Adresse anzugeben?“
    Sie antwortete abermals durch bejahende Verbeugung.
    „Sie werden mit Recht erwarten, von einem Glied der herzoglichen Familie empfangen zu werden, da es sich doch eigentlich um eine Familienangelegenheit von großer Wichtigkeit handelt“, fuhr er in verbindlicher Weise fort; „aber leider lebt Ihro Alteza, die Frau Herzogin, nicht mehr, und Serenissimus sind verreist. Darum wollen Sie es entschuldigen, daß ich, der ich nur der Haushofmeister bin, Ihren Empfang übernommen habe. Exzellenz jedoch haben mich ermächtigt, mit Ihnen zu verhandeln respektive auch endgültig abzuschließen. Sind Sie bereit, meine Bitte um Beantwortung einiger Fragen zu erfüllen?“
    „Ich stehe gern zu Diensten, Señor.“
    Die Art und Weise, in welcher Cortejo sich gab, flößte ihr vollständiges Vertrauen ein.
    „So sehe ich mich zunächst veranlaßt, eine sehr notwendige Bemerkung zu machen“, fuhr er fort. „Ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß ein Herzog, um eine Erzieherin seiner Tochter zu bekommen, denselben vulgären Weg betritt, den selbst die zu den unteren Schichten Gehörigen nur dann betreten, wenn sie sich ohne bessere Chancen sehen?“
    Sie lächelte ein wenig und antwortete dann:
    „Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß mich dieser Umstand im ersten Augenblick einigermaßen befremdete. Dann aber sagte ich mir, daß ja wohl eine leicht erklärliche Ursache vorliegen könne, die selbst einen so hohen Herrn veranlaßt, den Weg der Annonce zu betreten.“
    „Sie haben recht gehabt. Die Sache ist nämlich die, daß die bisherige Erzieherin wegen eines plötzlichen Todesfalles um ihre sofortige Entlassung bat. Um sie auf dem gewöhnlich von uns eingeschlagenen Weg zu ersetzen, hätte es die Zeit von einigen Monaten bedurft, und da wir die liebe kleine Prinzessin doch nicht so lange ohne mütterliche Beaufsichtigung lassen konnten, schlug ich vor, eine Annonce drucken zu lassen. Es haben sich mehrere Damen gemeldet; da wir jedoch eine Erzieherin deutscher Abkunft vorziehen, so sollte es mich freuen, wenn unsere Ansprüche sich gegenseitig ergänzten, Señorita!“
    Cortejo machte hier eine Lüge. Die bisherige Gouvernante war nicht wegen eines Todesfalles entlassen worden, sondern sie hatte wegen Fräulein Wilhelmi einen einstweiligen Urlaub auf unbestimmte Zeit erhalten und sollte später wieder eintreten. Ihr Gehalt ging fort.
    „Ich hoffe nicht, daß meine Ansprüche Ihnen zu hoch erscheinen werden“, sagte Fräulein Wilhelmi.
    „Ich bin überzeugt davon. Sie waren jetzt in einem hiesigen Engagement?“
    „Ja, beim Bankier Salmonno.“
    Der Haushofmeister gab sich Mühe, ein geringschätziges Lächeln zu unterdrücken, und sagte:
    „Ich glaube kaum, daß sich eine Dame von Geist und Befähigung in der Familie eines solchen Mannes wohl fühlen kann.“
    „Ich ziehe es in solchen Fällen vor, die Veranlassungen zu Klagen zu übersehen.“
    „Das ehrt Sie, Señora! Wie lange waren Sie bei diesem Mann?“
    „Ungefähr ein Jahr.“
    „Und vorher?“
    „Ich kam aus Deutschland nach hier. Meine Referenzen von dort stehen Ihnen augenblicklich zu Gebot, von Salmonno jedoch habe ich mir noch kein Zeugnis erbeten, da ich es vorzog, ihm von dem gegenwärtigen Schritt noch nichts mitzuteilen.“
    Er machte eine abwehrende Handbewegung und sagte freundlich:
    „Bitte, Señora, lassen Sie! Ich gehöre nicht zu den Pedanten, welche die Menschen nach ihren Zeugnissen beurteilen; ich habe reichliche Erfahrungen gemacht, wie wertlos oder wenigstens unsicher dieselben sind. Ich frage nicht nach Ihren Legitimationen, ich frage Sie selbst und werde dann genau wissen, welches Urteil ich mir über Sie zu bilden habe. In welcher Stadt Deutschlands sind Sie geboren?“
    „In Köln.“
    „Ihre Eltern waren?“
    „Mein Vater war Lehrer. Er ist tot, und meine arme Mutter lebt von einer kärglichen Pension von fünfzig Talern.“
    „Die Sie durch Ihr Gehalt zu

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