42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
der Pater. „Vielleicht bist du das Werkzeug eines göttlichen Ratschlusses gewesen, mein Sohn. Hast du den Mann nicht erkannt, welcher euch den Knaben brachte? Dies zu erfahren muß uns von der allergrößten Bedeutung sein.“
„Ich kannte ihn nicht, aber seinen Namen habe ich gehört.“
„Wie lautete er?“
„Der Hauptmann vergaß sich einmal und nannte ihn Señor Gasparino, und beim Abschied draußen an der Treppe, als sie sich unbeobachtet glaubten, nannte er diesen Namen abermals. Aber die Tür stand offen, und so hörte ich ihn deutlich. Ich würde den Mann sofort wiedererkennen, wenn ich ihn noch einmal zu sehen bekäme.“
„Wie war seine Gestalt?“
„Lang und hager. Er hatte eine schnarrende Stimme und sprach in sehr frommen Worten und Ausdrücken.“
„Also Ihr habt den fremden Knaben in fremden Kleidern hierhergebracht. Was wurde dann mit ihm?“
„Er blieb in der Höhle und wurde gut gepflegt. Er sprach immer von seiner Mama, von seinem Papa, von der kleinen Rosita, von dem guten Alimpo und von der guten Elvira. Endlich verbot ihm der Capitano, diese Namen zu nennen, und dann mag er sie wohl ganz und gar vergessen haben.“
„Nein“, fiel Mariano ein. „Ich habe sie nicht vergessen! Die beiden letzten Namen waren mir allerdings entfallen, aber jetzt besinne ich mich ihrer genau. Der kleine Alimpo trug mich viel auf seinen Armen. Was er im Schloß war, das weiß ich nicht. Er hatte ein wunderbares Bärtchen unter der Nase. Die Spitzen dieses Schnurrbärtchens waren fortrasiert, und nur gerade unter der Nase hingen ihm zwei lange Haarflocken weit über den Mund herab. Ich litt es deshalb nicht, daß er mich küßte. Die Elvira war seine Frau. Sie war sehr dick und sagte immer, wenn sie etwas behauptete: ‚Das sagt mein Alimpo auch!‘ Sie steht so lebhaft vor meinem Gedächtnis, daß ich sie sofort erkennen würde, wenn ich ihr einmal begegnete.“
„Das ist wunderbar, mein Sohn“, meinte der Pater. „Nun bin ich allerdings vollständig überzeugt, daß du der Knabe bist, den dieser Mann verwechselt hat. Wir wollen in unserer Erzählung fortfahren“, und sich zu dem Kranken wendend, fragte er ihn: „Wie ist dein wirklicher Name, und wo bist du her?“
„Ich heiße eigentlich Manuel Sertano, wurde aber hier nur Manuel genannt. Ich bin aus Mataro.“
„Das wird für uns doch vielleicht von einiger Bedeutung sein. Erzähle jetzt weiter, mein Freund.“
Nachdem der Kranke einen erneuten Hustenanfall überwunden, fuhr er fort:
„Einige Wochen nach der Umwechslung des Kindes sollte ich einen Reisenden töten. Ich weigerte mich. Der Capitano drang darauf und drohte mir mit der Todesstrafe, wenn ich seine Befehle nicht erfüllen würde. Ich tat, als ob ich gehorchen wollte, und ging; aber ich bin nicht wiedergekommen.“
„Das ist also der Meineid, den du begangen hast?“
„Ja. Ich hatte geschworen, alle Befehle des Capitanos zu erfüllen. Ich habe also meinen Eid gebrochen.“
„Mein Sohn, wenn dir nur das dein Gewissen beschwerte, so könntest du ruhig sein. Ich bin hier unter den Briganten, denn diese verlorenen Schafe sollen nicht ohne Trost und Gottes Hilfe sein, und niemals werde ich einen dieser Männer in Schaden bringen; aber dennoch sage ich dir, daß du ganz recht gehandelt hast, indem du den Reisenden nicht tötetest. Kraft meines Amtes als Diener der heiligen Kirche entbinde ich dich deines Schwures und bringe dir Verzeihung dafür, daß du ihn nicht gehalten hast!“
„O mein frommer Vater, wie danke ich Euch!“ meinte der Kranke. „Ihr nehmt mir eine große Last vom Herzen. Könnte die andere Sünde mir doch auch noch so vergeben werden, damit ich ruhig sterben kann!“
„Laß mich erst deine Erzählung vollständig hören.“
„Als ich von hier floh, ging ich nach Sankt Jean de Luz in Frankreich und kam als Matrose auf ein Schiff. Wir fuhren nach den Antillen, und von da an diente ich auf verschiedenen amerikanischen Küstenfahrern, bis ich einst in Sankt Juan de Callao erkrankte. Ich genas und trat in den Dienst eines reichen Mexikaners, der mich mit in die Hauptstadt Mexiko nahm. Bei ihm diente ich viele Jahre, bis er starb. Von da an ist es mir sehr traurig ergangen. Meine kleinen Ersparnisse wurden alle, und die Auszehrung ergriff meine Brust. Ich fühlte, daß ich dem Tod nicht entgehen könne, und da ergriff mich die Sehnsucht nach Vergebung meiner Sünden, und ich fühlte das Verlangen, den geraubten Knaben aufzusuchen und ihn um Gnade und
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